Friedlich lag der Sportplatz im Schoelerpark im Herzen von Wilmersdorf. Es war Sonntagvormittag, Vögel zwitscherten, die Schläge einer Kirchenglocke ertönten. Nur wenige Menschen waren auf der Anlage des FC Wilmersdorf, und nur der Hausmeister registrierte, dass sich die Spieler des Berliner SC und des FC Köpenick/Oberspree aus dem Kabinentrakt schälten und auf den Kunstra-senplatz trotteten. Niemand beachtete die beiden Männer, die sich gemächlich an einem Tisch auf der Terrasse niederließen und bedächtig Bier bestellten. Der eine, verstrubbelte Haare, Bauchansatz, wache Augen, Anfang fünfzig, hieß Karsten Wegmann, der andere, durchtrainiert, gebräuntes Gesicht, weißes Hemd unter dem Sakko, Jürgen Schnitzler. Sie kamen jeden Sonntag her, weil sie in der Nähe wohnten und gern gemütlich Fußballspiele beobachteten.
Und weil sie dabei manchmal sogar einen Treffer landeten.
Sie waren Scouts, Talentsucher der besonderen Art. Wegmann arbeitete ehren-amtlich für zwei Seniorenresidenzen und suchte nach Fußballern, die nicht op-timal austrainiert waren und technische Kabinettsstücken konnten. Solche Leute lud er gern für Demonstrationen für die Senioren ein. Die sollten erkennen, dass man auch im gehobenen Alter und ohne Athletenkörper noch zu guten Leistun-gen fähig ist. Eine Art Motivationsschub für Rentner. Schnitzler, der andere, suchte Leute für seine Sportabende im Catchen.
Es war 10.30 Uhr, das Spiel begann, die beiden verfolgten routiniert das Geschehen. Nichts Bemerkenswertes für sie zu sehen. Der BSC hatte Köpenick im Griff, dominierte das Spielgeschehen, über Frank Möller in der Mitte machte er Druck, der einzige starke Stürmer der Köpenicker war bei der BSC-Abwehr, bei der auch Esti mitspielte, gut aufgehoben. Esti hatte vor dem Anpfiff auf dem Trikot von Peter Richter schwören müssen, dass er dem Schiedsrichter im Spiel weder in Monologform die Regeln über einen Strafstoß erklärt noch mit einem Gegenspieler minutenlang die Feinheiten einer Abseitsstellung diskutiert. Esti hielt sich dran, und die Partie plätscherte ziemlich einseitig vor sich hin. Die einzig bemerkenswerte Szene war ein Fallrückzieher von Carsten Duckwitz, wobei der Ball am Tor vorbei strich. Auf der Terrasse blickte Schnitzler kurz zu Wegmann. „Na, wär’ der was?“, fragte er. „Nee“, brummte Wegmann. „War ne gute Aktion, aber der Typ ist zu jung und zu schlank.“
Ein paar Minuten später hatte John das Mittelfeld durchtrabt und dabei ein lästiges Hindernis kurz beiseite geschoben. Das Hindernis trug das Trikot von Köpenick, wälzte sich am Boden und machte irgendwelche läppischen Bemer-kungen. John ging erst gar nicht darauf ein. Aber auf der Terrasse richtete sich Schnitzler auf. Er pfiff leise durch die Zähne und murmelte: „Der könnte etwas sein. Von dem will ich mehr sehen.“ Er ging zu Ebi, der eine Doppelrolle als Linienrichter und Feldwebel besetzte, und raunte ihm zu: „Hör mal, der Dicke da, die 99, sag dem mal, er soll mal so richtig zupacken. Ich spendiere ihm nachher auch zwei Bier.“ Ebi instruierte John, als der vorbei stampfte. John wusste nicht so recht, ob der darauf eingehen sollte.
Fünf Minuten später wusste er es. Das 1:0 für Köpenick war gefallen. Nach einem Konter konnte Peter Richter den Ball abklatschen, aber nicht festhalten, ein Missverständnis mit Esti, ein Köpenicker Stürmer staubte ab. John fühlte sich herausgefordert. Zwei Minuten später fiel der Ausgleich, ein Eigentor der Köpenicker, 21 Mann standen auf dem Platz, der 22. lag auf dem Boden, theat-ralisch hingesunken natürlich, John hatte ihn ja kaum berührt. Auf der Terrasse raunte Schnitzler seinem Kumpel Ebi zu: „Da capo, vier Bier.“ Die Nachricht kam an.
Der BSC drückte weiter, hatte einige Chancen, und im Mittelfeld umspielte John elegant nicht bloß den Gegner, der neben ihm lag, sondern auch die Grup-pe von Köpenick, die ihn wüst beschimpfte. Nun richtete sich auch Wegmann in seinem Stuhl auf. „Hm“, sagte er zu Schnitzler, „der Typ kann ja was. Ist dick wie n Walfisch, aber trotzdem noch beweglich.“ Er hastete zu Ebi. „Hee, sag dem Bierfaß da, die ganze Mannschaft bekommt eine Runde, wenn er noch mal ein paar Kunststücke zeigt.“ Ebi brüllte es John ins Ohr, als der an der Auslinie vorbei hastete. Auf der Terrasse hielten Schnitzler und Wegmann ihre klirrenden Gläser fest. „Großartig“, murmelte Wegmann, als der Boden erbebte. Am Ne-bentisch fragte ein Siebenjährige: „Mama, ist das ein Tsunami?“
Aber noch bevor John noch zaubern konnte, fiel das 2:1 für Köpenick, ein unglückliches Tor Sekunden vor dem Pausenpfiff.
In der Kabine informierte John die Mannschaft über die ausstehende Runde an Bier; warmer Applaus und aufmunternde Worte brandeten ihm entgegen. In ei-ner Ecke wiederholte Esti seinen Schwur.
Die zweite Halbzeit, der BSC leistete sich in den ersten Minuten Aufbaufeh-ler, das klare Konzept aus den ersten 20 Minuten war nicht mehr zu erkennen, Köpenick kam stärker auf. Genau der richtige Zeitpunkt, um einzugreifen, fand Schnitzler. „Hee, Ebi“, rief er, er kannte Ebi inzwischen ganz gut, „zwei Runden für die ganze Mannschaft, wenn er mal eingreift.“
John ist Teamplayer, das bewies er sechs Minuten später. Er nahm zehn Me-ter Anlauf, erreichte annährend die Geschwindigkeit und die Dynamik einer aufgescheuchten Büffelherde und durchquerte das Mittelfeld auf der Jagd nach dem Ball. Als Kollateralschaden blieb ein Köpenicker liegen. Einer der robuste-ren Art. Bereits nach vier Minuten stand er wieder und drängte zu John.
Auf der Terrasse bedauerten Schnitzler und Wegmann, dass sie die folgenden Szenen leider nur unzureichend verfolgen konnten. Die aufgeregte Menschen-traube war zu groß. „Hast Du’s gesehen?“, fragte Wegmann, der verzweifelt versuchte, einen klaren Blick auf John und seinen Gegner zu erhaschen. „Hat der Dicke dem anderen den Hals zugedrückt?“. Schnitzler brummte unschlüssig. „Weiß nicht. Vielleicht hatte er ihn auch nur am Trikot gepackt.“ Beide rannten zu Ebi, um besser sehen zu können. „Da“, sagte Schnitzler aufgeregt, „der ande-re ist hingeplumpst. Hält sich an den Kopf. Mensch, der fiel ja wie ne Eiche.“ Wegmann zog die Brauen hoch. „Na, schau mal, wie der sich am Boden wälzt, ist doch ne Schauspieleinlage. So fest hat der Dicke doch gar nicht zugestoßen.“ Er starrte gespannt zum Schiedsrichter. „Na bitte“, brummte Wegmann zufrie-den. „Nur Gelb. Lausiger Schauspieler, dieser Köpenicker.“ Schnitzler war be-geistert. „Den verpflichte ich, so einer heizt das Publikum an, ein paar Übungseinheiten, dann ist der ein guter Catcher.“
Wegmann brüllte Ebi ins Ohr: „Vier Runden für die ganze Mannschaft, wenn der Dicke noch Kunststücke liefert.“
Vier Minuten später. John bekommt an der Strafraumgrenze den Ball, er nimmt ihn mit dem linken Fuß auf, jongliert ihn, hebt den Ball auf den rechten Fuß, dreht sich um die eigene Achse und schießt den Ball mit einer Eleganz ins Tor, dass Wegmann begeistert „Messi, wie Messi“, stöhnt. 2:2, das schönste Tor, das der BSC in der Rückrunde geschossen hat.
Nur fünf Minuten später. Der Ball kommt wieder zu John, auf der halbrech-ten Seite, drei Meter vom Strafraum entfernt. John nimmt ihn wieder auf, jong-liert und schießt dann aus der Drehung unhaltbar ins Köpenicker Tor. 3:2 Das nächste schöne Tor von John. „Ein Künstler“, japst Wegmann, „Dumbo mit dem goldenen Fuß, der Typ ist super. Den verpflichte ich gleich fürs nächste Senio-ren-Gartenfest.“
Die restlichen 15 Minuten übersteht der BSC problemlos, die Angriffe der Köpenicker versanden im Nichts, der BSC hält relativ souverän den Vorsprung, auch wenn die Gäste noch versuchen Torchancen herauszuspielen.
Abpfiff, 3:2-Sieg für den BSC. Die Spieler umarmen sich, die Köpenicker hel-fen ihrer Nummer acht auf die Beine, die John nicht schnell genug ausgewichen war, und auf der Terrasse haben Schnitzler und Wegmann kurzfristig organi-siert, dass die Bedienung im Vereinsheim eine „Queen“-CD einschiebt. „We war the champions“ ertönt es aus den Boxen. Die Bedienung bittet John auf ei-nem Bestellzettel um ein Autogramm. Der Siebenjährige fragt mit leuchtenden Augen: „Wie heißt der Mann?“ Die Bedienung blickt auf ihren Zettel. „Cristiano Ronaldo“
hauchte sie.
Frank B.
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1 Kommentar:
Hinter dem Fenster des Casinos waren wegen #99 noch zwei Scouts - einer vom DFB und einer von Hertha...
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