(rr). Wir Trainer haben am Anfang einer Saison sicherlich alle so ziemlich die gleichenProbleme - unabhängig von der Spielklasse der Mannschaft, die wir betreuen. Das erste Spielbringt Probleme mit sich, bei denen es zweitrangig ist, ob die Mannschaft in der Kreisliga B spielt oder in der Bundesliga. Für mich ist es deshalb auch an dieser Stelle wichtig, eingangs über Ziele zu reden und zwar über die doch manches mal unterschiedlichen Ziele, die Vereine verfolgen und über Ziele, die wir Trainer uns stecken.
Je weiter oben die Mannschaften spielen, desto mehr sind natürlich auch wirtschaftliche Faktoren Einflussgröße für artikulierte Tabellenplatzziele. Wir Trainer sollten aber immer darauf achten und uns auf das konzentrieren, was wir eigentlich beeinflussen können mit unseren Mannschaften. Nur weil ich einen Tabellenplatz als Ziel ausgebe, habe ich noch lange keinen Einfluss auf die Mannschaft erzeugt. Ich habe vielleicht einen gewissen Druck erzeugt, der für manche Mannschaften ganz gut ist, aber Grundlagen für das Erreichen dieser Ziele habe ich damit nicht geschaffen. Schon zu Zeiten, als ich mit dem SSV Ulm aufgestiegen bin in die Zweite Bundesliga, wurde ich immer wieder gefragt, was unser Tabellenplatzziel sei.
Ich habe gesagt, ich habe eigentlich kein Tabellenplatzziel, aber wir sind natürlich nicht aufgestiegen, um gleich wieder abzusteigen. Für mich war es wichtiger, dass wir die Spielweise, mit der wir aufgestiegen sind, versuchen, auch in der neuen Liga durchzubringen. Das war für mich das eigentliche Ziel der Saison und für mich lauten auch jetzt wieder für die neue Saison die Ziele nicht unbedingt, Erster, Zweiter, Dritter, Vierter, Fünfter, Sechster zu werden, sondern, es wird wichtig sein, die Art von Fußball,die wir auch als Trainer versuchen vorzugeben, auf die Mannschaft zu übertragen und es zu schaffen, sie zur eigenen Sache der Spieler zu machen. Das Motto für mich als Trainer lautet ganz einfach: Wie schaffe ich es, der Mannschaft Mittel und Wege an die Hand zu geben, so dass der Gegner möglichst wenig Torchancen herausspielen kann und wir umgekehrt aus dieser Situation heraus möglichst viele Torchancen kreieren können?
Und wenn es uns über den Verlauf einer gesamten Saison gelingt, dieses Verhältnis immer zu Gunsten der herausgespielten Torchancen zu schaffen, dann werden wir unter dem Strich auch mehr Spiele gewinnen als verlieren. Und somit einen guten Tabellenplatz zu erreichen.
Darüber hinaus ist es für mich wichtig, dass sich Spieler weiter entwickeln und zwar sowohl jedereinzelne Spieler für sich im Bereich Technik, Taktik, als auch in den Bereichen soziales Verhalten, zwischenmenschliches Verhalten in der Gruppe. Als Resultat ist es aus meiner Sicht für einen Trainer fast noch wichtiger, dass die Mannschaft als solches stärker ist als die Summe der Einzelspieler.
Abwehrverhalten mit dem Ziel Balleroberung
Es soll in diesem Beitrag zur Taktik nicht alleine um Grundordnungen gehen, sondern vor allem darum, dass eine andere Art von Abwehrverhalten dem Spiel zu Grunde liegt. Nämlich eine Art von Abwehrverhalten, die auf Balleroberung ausgerichtet ist und nicht zu sehr darauf, abzuwarten, was der Spieler am Ball macht.
Wir haben für die Taktik, die wir im Fußball als Trainer trainieren können, zunächst einmal zwei verschiedene Spielsituationen, die für mich unabhängig voneinander zu sehen sind und für mich auch unabhängig voneinander zu trainieren sind. Zum einen die Situation “eigener Ballbesitz“ und zum zweiten die Situation “gegnerischer Ballbesitz“. Bei der Situation “eigener Ballbesitz“ fiel mir schon als Spieler auf, dass in diesem Bereich sehr viele Trainer Korrekturhinweise und Trainingshinweise vornehmen. Wenn wir uns selbst beobachten, müssen wir zugeben, dass wir auch im Spiel sehr häufig kommentieren. “Wir müssen mehr über außen spielen..., wir müssen schauen, dass wir vielleicht auch mehr aus der Distanz schießen..., wir wollen versuchen den Gegner durch Doppelpasssituationen auszuspielen...“ Das sind alles Dinge, die sicherlich wichtig sind und die auch immer wieder trainiert werden sollten, aber sie hängen auch sehr stark von der Qualität unserer Spieler ab.
Die Situation Ballbesitz Gegner ist die Situation, die aus meiner Sicht oft zu kurz kommt. Für mich stellt sich seit langem die Frage, in welcher der beiden Situationen ich als Trainer mehr Einfluss nehmen kann, d.h. mich auch ein Stück weiter unabhängig machen von der Qualität meiner Spieler. Und in welcher der beiden Situationen bin ich als Trainer mehr von der Qualität der einzelnen Spieler abhängig. Bei eigenem Ballbesitz habe ich ein paar Punkte schon angesprochen. Wenn wir diese Dinge trainieren, geht es in erster Linie um Hinterlaufen, Doppelpass oder um
die Spielverlagerung. Es geht um die sogenannten Steilpässe oder auch Lochpässe, wie sie manchmal genannt werden. Es geht auch um die Situation des Tempodribblings.
Zwei Varianten des Pressings
Die andere Situation, die hier in erster Linie angesprochen ist, ist die Situation Ballbesitz Gegner. Dort geht es um das Thema Pressing, dass wir spielen wollen. Es gibt in der Situation des Pressings zwei verschiedene Varianten, in denen wir spielen können: die defensivere Variante, das sogenannte Mittelfeldpressing, und die offensivere Variante, das sogenannte Forechecking oder Angriffspressing. Bei Mittelfeldpressing geht es in erster Linie darum, den Gegner in Richtung Seitenlinie zu pressen, aber beim Forechecking geht es nicht nur darum, ihn in Richtung Seitenlinie zu pressen, sondern eben auch noch zusätzlich in Richtung der Grundlinie des Gegners. Streng genommen gibt es natürlich noch eine defensivere Variante, nämlich die, bei der ich mich komplett in die eigene Hälfte zurückziehe und dann fünf, sogar erst zehn oder fünfzehn Meter hinter der Mittellinie damit beginne, den Gegner zu attackieren.
Wir wollen Pressing spielen, aber wie?
Wie wollen wir das anstellen? Es geht in erster Linie um zwei Dinge. Wir wollen versuchen, dem Gegner Raum wegzunehmen. Aber ich kann dem Gegner nur dann Raum wegnehmen, wenn ich mit dem gesamten Mannschaftsverband konsequent zum Ball hin verschiebe, verdichte, um Überzahl in Ballnähe zu schaffen. Wenn ich jedoch in Ballnähe Überzahl haben will, muss ich bei einem 11:11 irgendwo auf dem Spielfeld in´Unterzahl sein und es ist natürlich am sinnvollsten, wenn ich die Unterzahl dort habe,wo die gegnerischen Spieler keinerlei Bedrohung für unser Tor darstellen. Dabei handelt es sich also um Spieler, die sich zum Zeitpunkt des Verdichtens, des Verschiebens fünfzig Meter weg von unserem eigenen Tor befinden und womöglich auch noch vierzig oder fünfzig Meter weg vom momentanen Standort des Balles sind. Denn die werden in den nächsten drei bis fünf Sekunden nicht in das Spielgeschehen eingreifen, und wenn sie eingreifen, werden sie sicherlich zunächst einmal keine Torgefahr für uns darstellen.
Es geht um Raum und Zeit
Zusätzlich zum räumlichen Verdichten, das unter Umständen schon ausreichen kann, muss aber auch das Thema Zeit kommen. Wenn ich Pressing spielen möchte, den Gegner vielleicht aber erst in der eigenen Hälfte oder an der Mittellinie attackiere, dann wird das alleine nicht ausreichen, sondern dann muss ich gleichzeitig den Gegner auch zeitlich unter Druck setzen. Denn alleine vom Eingekreist- oder Umzingeltsein werden keine Fehler gemacht. Das heißt, dieses Thema Zeit ist dann auch wichtig, und Zeitdruck erzeuge ich dadurch, dass ich wirklich auch aggressiv attackiere, zum Ball hin. Mit aggressiv ist immer gemeint: ohne Foulspiel. Das Ziel dabei ist die schnelle Balleroberung, den Gegner zum unkontrollierten Abspiel bzw. zum Dribbling zu zwingen, um aus dieser Situation heraus dann eben den Ball zu erobern. Das sind die beiden Themen um die es geht: Raum und Zeit.
Die Grundordnung für erfolgreiches Pressing
Wichtig ist im erfolgreichen Pressing die Grundordnung. Es geht mir überhaupt nicht darum zu sagen, dass das 4:4:2 die beste Möglichkeit ist zu spielen. Aber um erfolgreich Pressing zu spielen, muss eine symmetrische Grundordnung vorhanden sein. Spieler werden sich gegen gleichstarke oder stärkere Gegner über eine gesamte Saison nur dann getrauen, immer wieder zu attackieren, wenn sie Erfolgserlebnisse haben, das heißt, wenn ein Spieler vorschiebt, den Ballbesitzer attackiert, der Ball wird aber an ihm vorbei gespielt und hinter ihm stehen gegnerische Spieler frei, dann tut er das vielleicht einmal. Wenn er das noch zwei- oder dreimal tut, wird er irgendwann sagen, Trainer, jetzt habe ich dreimal draufgeschoben, wie lange soll ich mich eigentlich noch ausspielen lassen. Daraus folgt, dass es notwendig ist, dass er Rückendeckung hat und das die Spieler dahinter immer wieder nachrücken können und aufschieben. Dafür ist es wichtig, dass ich eine symmetrische Grundordnung auswähle.
Die zweite Voraussetzung ist, dass ich keine Spieler für Sonderaufgaben abstelle. Wenn ich einen oder gar zwei oder drei Spieler abstelle, um gegnerische Spieler auszuschalten, so werde ich auf Sicht eines gesamten Spiels oder gar einer Saison nie konsequent systematisch erfolgreich Pressing spielen können.
Und die dritte Voraussetzung, die gegeben ist oder die gegeben sein muss: ein erfolgreiches Pressing, egal aus welcher Grundordnung heraus, ist ohne Berücksichtigung der Abseitsregel unmöglich. Es muss klar sein. dass die Abseitsregel miteinbezogen werden muss, und zwar nicht als Abseitsfalle, sondern einfach als Mittel, um den Abstand zwischen unseren letzten Abwehrspielern und den vorne attackierenden Spielern möglichst nicht größer als 30 bis 35 Meter werden zu lassen.
Die Vorteile einer guten Grundordnung
Ich habe eigentlich in den letzten zwölf Jahren als Trainer aus der Grundordnung 4:4:2 heraus gespielt und ich möchte hier aufzeigen, welche Vorteile diese Grundordnung meiner Meinung nach für ein erfolgreiches Pressing hat. Die Grundordnung beinhaltet neben dem Torwart: 4 Abwehrspieler, davon einen rechten und linken Verteidiger, also die Positionen 2, 3, 4 oder 5. Die Spieler so zu “nummerieren“, dass die Spieler mit der Zeit natürlich alleine durch die Angabe der Rückennummer das Programm und die Aufgaben in Offensive und Defensive verinnerlichen.
Also, wir haben zwei Außenverteidiger, rechts und links, zwei zunächst in der Abwehr
gleichberechtigte Innenverteidiger, also einen rechten und linken Innenverteidiger, die – je nachdem über welche Seite der Gegner den Angriff vorträgt – Liberoaufgaben übernehmen. Wir haben bei uns vor den Verteidigern ein Vierer-Mittelfeld mit einer Rautenordnung mit jeweils einem linken offensiven und einem rechten offensiven Mittelfeldspieler, einem zentral defensiven Mittelfeldspieler Nummer 6 – dem so genannten Staubsauger oder Scheibenwischer, wie er manchmal genannt wird – sowie einem zentral offensiven Mittelfeldspieler hinter den beiden Spitzen Nummer 9 und Nummer 11.
Varianten der Grundordnung
Diese Grundordnung kann beliebig variiert werden und was sich dadurch ändert, sind eigentlich nur Kleinigkeiten im Spiel gegen den Ball. Ideale Innenverteidiger sind für mich Spieler, die sowohl im 1:1 gegen den Mann bestehen können, die aber auch ein Gefühl dafür haben, dass Spieler aus dem Raum kommen und im Raum Spiel können. Ein Spieler, der das sicherlich recht ideal verkörpert, war beim VFB Stuttgart Frank Verlaat. Franco Baresi ist sicherlich auch allen bekannt. Beides sind Spieler, die sowohl gegen den Mann spielen, sich auch mal 1:1 behaupten, als auch in Raumdeckung in einer früheren Liberoposition spielen können. Wenn ich zwei solcher Spieler habe, ideal einer davon Linksfuß, einer davon Rechtsfuß, ist es logisch, dass ich so spiele, wie wir es gerade gesehen habe, nämlich mit zwei Innenverteidigern auf einer Höhe, die den Libero “erzeugen“. Sollte ich aber in meinem Kader eher einen prädestinierten Vorstoppertyp haben, der seine Stärken am Mann hat und sich schwer tut, wenn er nicht direkt einen Gegenspieler zum Decken hat und einen weiteren Spieler, der eher von der Liberoposition kommt, Marke Matthias Herget, früher oder später auch Manni Binz, dann ist es überhaupt kein Problem aus solch einer Anordnung zu spielen. Das einzige, was sich dabei ändert ist, dass eben zur Ballseite die Spitze nachher immer vom Vorstopper übernommen wird.
Eine weitere Variante der Viererkette: davor keine zwei echten Spitzen, sondern zwei zentrale offensive Mittelfeldspieler die im Wechsel bei eigenem Ballbesitz in die Spitze mit hineinstoßen sollen, eine Variante, mit der es sich immer wieder lohnt, auch auswärts zu spielen.
Unabhängig von der Grundordnung sind drei Elemente besonders wichtig, um ein erfolgreiches Pressing zu spielen:
Das erste ist, dass ich als Mannschaft immer wieder kompakt stehe. Kompakt heißt,dass die Mannschaft durch die entsprechenden Trainingsformen gelernt hat, Abstände zu korrigieren. In der Länge, was den Abstand des letzten Abwehrspielers bis zum vordersten Angreifer angeht, aber auch was die seitlichen Abstände angeht. Dieses kompakte Stehen ist eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass man es immer wieder schaffen kann, Druck auf den Gegner zu erzeugen.
Zweiter Aspekt, der eine Rolle spielt, ist, dass alle Spieler mitmachen müssen. Es darf in dieser Art von Spiel kein geistiges Ausklinken geben, wenn der Gegner den Ball besitzt. Spieler, die sich bei Ballbesitz Gegner wegstehlen, sich schon irgendwo freilaufen, können wir für dieses Spiel nicht unbedingt gebrauchen. Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dafür, dass es bei Ballbesitz Gegner klare Positionen in den Grundordnungen gibt.
Dritter Aspekt ist die Kontinuität. Das heißt nicht, dass wir immer nur attackieren. 90 Minuten ständig nur mit High-pressure nur zu attackieren ist unmöglich, aber es darf nie No-pressure geben. Es heißt, die Variation muss immer lauten: Zwischen Mitteldruck
und Hochdruck. Gar keinen Druck gibt es nur dann, wenn der Ball im Aus ist, oder wenn ein verletzter Spieler behandelt wird, aber sobald der Ball im Spiel ist, gibt es eigentlich nur noch eine Variation von High-Pressure, aber kein No-Pressure.
Die verschiedenen Spielsituationen
Raumdeckung ist nicht gleich Raumdeckung. Es ist ein Mythos, der in den letzten Jahren immer neu aufgelebt ist, wenn es heißt, Raumdeckung ist zu riskant, ist zu gefährlich, Gegner können immer wieder durch Nahtstellen durchschlüpfen und – spielen. Eine Raumdeckung heißt nicht, den Raum zu decken oder im Raum eine Zone zu bewachen. Für mich heißt es vielmehr: die effektive Raumdeckung ist nicht gegnerorientiert, sondern ganz klar ballorientiert.
Am Anfang ist dies auch für die Zuschauer ungewohnt und es bringt sicherlich Probleme mit sich. Speziell in den unteren Klassen, in denen man auch noch hört, was die Zuschauer ins Spielfeld rufen. Hier ist ein Umdenken erforderlich, denn zum Prinzip der ballorientierten Raumdeckung gehört es, dass Gegenspieler manchmal freistehen.Entscheidend ist allerdings, wo sie freistehen.
Auch der Mythos, dass eine Viererkette auf einer Linie agiert und ohne Libero spielt, ist falsch. Wir spielen nie ohne Libero, wir spielen nur nicht 90 Minuten lang mit dem gleichen Libero, der immer hinter den Verteidigern steht. Wir spielen mit zwei Innenverteidigern, die diese Liberoposition gegenseitig erzeugen. Wenn der Angriff über unsere linke Abwehrseite kommt, wird der linke Innenverteidiger zum Manndecker der ballnahen Spitze, der rechte Innenverteidiger setzt sich in der Tiefe ein bisschen ab. Wie weit er sich absetzt, hängt von zwei Faktoren ab:
•Wie schnell ist er zu Fuß?
•Wie schnell ist er mit dem Kopf?
Über Franco Baresi wurde immer gesagt, er wäre ein relativ langsamer Spieler. Aber er war kein langsamer Spieler. Er war auf jeden Fall unglaublich schnell mit dem Kopf, was das Antizipieren und das Erkennen von Situationen anging und er war auch schneller zu Fuß, als es manchmal den Anschein hatte. Ideale Spieler für diese Position in der Innenverteidigung sind schnell zu Fuß und mit dem Kopf.
Überzahl im Zentrum
Das oberste Motto muss immer lauten: Überzahl im Zentrum. Dort wo die Tore fallen, dort darf ich nie in Unterzahl sein. Beispiel: Wir Trainer kennen die Situation, die wir alle schon erlebt haben: Der Gegner ist tatsächlich über außen durchgekommen und kann evt. zum Flanken kommen. Wie oft ist dann der eine Libero oder ein Innenverteidiger noch nach außen gelaufen, ohne auch nur den Hauch einer Chance zu haben, diese Flanke zu verhindern.
Dann muss man sich aber fragen, warum soll er überhaupt rauslaufen, wenn die Flanke trotzdem kommt und er innen fehlt, wo das Tor fällt. Das Tor fällt nie außen, d.h. auch wenn der Gegner mal tatsächlich durchkommt, ist es wichtig, dass im Zentrum klare Überzahl herrscht. Ein Grund-Ziel lautet, den Gegner möglichst weit weg vom Tor zu halten. Denn je länger mir das gelingt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner wenige Torchancen herausspielen kann.
Die Grundordnung im Fußball, ob mit Raute oder nebeneinander, existiert in der Reinform eigentlich nur ganz selten. Wenn ich mit einem Hubschrauber diese Situation filmen würde, aus einer Vogelperspektive, dann sehe ich diese Ordnung in dieser Form eigentlich immer nur dann, wenn der gegnerische Torwart den Ball holt, wenn er im Aus ist, oder wenn es Anstoß gibt. In dem Moment, in dem der Ball im Spiel ist, oder sogar dann, wenn der Torwart ihn zum Anstoß hinlegt, ist diese Ordnung schon wieder zum Ball oder zum Gegner hin verschoben. Sobald der Ball im Spiel ist, funktioniert es nach dem Prinzip: Verschieben zum Ball hin und Druckaufbau. Wenn ich weit vorne zustelle, wenn ich ganz vorne bereits im gegnerischen Strafraum attackiere, wird dies in der Regel etwas auslösen beim gegnerischen Torwart: Er wird lang abschlagen. Wenn ich das möchte, weil ich unter Zeitdruck bin und einen Rückstand aufholen muss, ist das in Ordnung. Ansonsten aber sollten wir eigentlich immer wieder versuchen, den Gegner dazu zu bringen, von hinten heraus zu spielen. D.h., wir räumen ganz bewusst das erste Drittel des Spielfeldes auch mit den beiden Stürmern, um den Gegner die Möglichkeit zu geben, vom Torwart weg über die eigenen Abwehrspieler hinten heraus aufzubauen.
Dann gibt es ein weiteres wichtiges Prinzip für ein Pressing: Wir attackieren eigentlich nie den Spieler, der momentan den Ball hat, sondern denjenigen, der ihn als nächstes bekommt.
Die Spieler müssen das Spiel “lesen“
Die Spieler müssen deshalb ständig bei Ballbesitz des Gegners das Spiel “lesen“. Denn die Mannschaft soll ja, wie erwähnt, versuchen, denjenigen zu attackieren, der als nächster den Ball kriegt. Und da bietet eine genaue Spielbeobachtung immense Vorteile.
Wenn ich den Spieler attackiere, der seine Stärken nicht beim eigenen Ballbesitz hat –sehr häufig sind es gegnerische Manndecker – habe ich größere Erfolgsaussichten. Noch dazu, wenn diese Spieler unter Druck gesetzt werden. Es bietet sich förmlich an, für dieses Pressing solche Spieler rauszusuchen. D.h. beim Pressing ist die Auslösung der Pressingsituation ganz wichtig.
Wann attackiere ich und welche Situationen im Spiel sind besonders dafür geeignet, den Gegner zu attackieren? Auslöser für solche Situationen können sein:
• Wie bereits erwähnt technisch weniger stark ausgeprägte oder weniger begabte Spieler beim Gegner.
• Ein weiterer Auslöser können schlechte Platzverhältnisse sein. Dies spielt vor allem in den unteren Klassen eine wichtige Rolle, wo es öfter schlechte Platzverhältnisse gibt. Und wenn der Gegner sowieso schon Problem hat, durch die äußeren Bedingungen, und dazu dann auch noch Zeit-und Raumdruck bekommt, fällt es natürlich doppelt schwer, den Ball zu beherrschen.
• Weiterer Auslöser kann sein: Unterzahl des Gegners, 11:10. Dann bietet es sich natürlich an, erst recht Druck auf den Gegner auszuüben. Diese Situation müssen wo wir aber auch versuchen zu trainieren. Denn man erlebt ja in der Praxis sehr häufig, dass es gar nicht auffällt, wenn eine Mannschaft einen Spieler mehr zur Verfügung hat. Weil er Gegner dann im Wissen, ein Spieler weniger zu sein, mehr tut und die andere Mannschaft im Glauben, einer mehr zu sein, etwas nachlässt.
• Dann gibt es noch Auslöser aus der Spielsituation heraus, wie z.B. Pässe zu
technisch schwachen Spielern.
• Weitere Auslösen können auch ungenaue Rückpässe sein. Solche Situationen sind ideale Auslöser, um nachzurücken und um zu attackieren. Aufstellung des Gegners ist unwichtig
Einer der größten Vorteile für mich als Trainer, ist der, dass ich mir seitdem keine großen Gedanken mehr mache, ob der Gegner mit einer, zwei oder drei Spitzen spielt, ob bei drei Spitzen einer davon 1,90 m groß ist und ein anderer 1,75 m und vielleicht noch einer dabei ist, der klein und dribbelstark ist. Darüber habe ich mir früher weitaus mehr Gedanken gemacht, weil ich mir auch immer wieder überlegen musste: Passen meine Manndecker zu den Gegnern?
Dieses Thema ist in der Art, wie wir jetzt spielen, völlig unwichtig, weil zunächst unsere eigene Aufstellung im Mittelpunkt steht. Ich will die Elf stellen, die am besten geeignet ist, unsere eigene Spielweise und Spielphilosophie durchzubringen, d.h. ich bin mit dieser Art von Spiel unabhängig von gegnerischen Spielsystemen und Spielweisen.
Viererkette als Mittel für effektiven Spielaufbau
Ein weiterer Vorteil ist, dass grundsätzlich jeder Spieler auf seiner idealen Position spielt. D.h., wenn wir den Ball aus der Situation erobern, ist jeder Spieler automatisch auf der für ihn stärksten Position. Der rechte Verteidiger ist im Ernstfall Rechtsfuß, laufstark, offensiv stark, auch in der Lage, Flanken zu schlagen und natürlich immer wieder den fünften und sechsten Mittelfeldspieler durch dieses Einschalten zu erzeugen. Ich habe nicht – wie bei einer sturen Manndeckung – das Problem, dass jeder Spieler erst wieder seine ideale Position finden muss. Das ist wichtig für den Spielaufbau, denn die Viererkette ist auch ein gutes Mittel für den Spielaufbau. So, wie ich zum Ball hin immer wieder versuche zu verdichten, die Räume eng zu machen, versuchen wir bei eigenem Ballbesitz das Spiel natürlich immer wieder breit zu machen und wenn ich über die beiden Innenverteidiger und die beiden weit an die Außenlinie rückenden Außenverteidigern das Spiel aufbaue, ist es für den Gegner relativ schwer, unsere eigenen Ballbesitzer zu attackieren.
In dem Moment, in dem ich so spiele, kann ich auf alle Fälle nicht zum Auswärtsspiel fahren und sagen: Wir sind heute mit einem Unentschieden zufrieden. Diese Spielweise beinhaltet, dass ich eigentlich in jedem Spiel zunächst einmal auf Sieg programmiert bin. Dazu gehört auch das notwendige Selbstvertrauen: Wie agieren, selbst wenn der Gegner den Ball hat, und lassen uns die Laufwege nicht von den gegnerischen Spielern vorgeben.
Ein ganz wichtiger Faktor für dieses Spiel ist der richtige Teamgeist. Es gibt keine Hierarchie bei Ballbesitz des Gegners. Es kann also nicht sein, das bestimmte Spieler wertvoller sind als andere. Bei diesem System hat bei einem Ballbesitz des Gegners jeder Spieler ganz klar seinen Job zu machen und dabei ist die Nummer 10 oder 9 nicht wertvoller als die Nummer 2 oder 3. Bei eigenem Ballbesitz haben die 10 oder die Spitze trotzdem die Möglichkeit, ihre eigenen Stärken immer wieder mit einzubringen. Aber der Teamgeist, der sich daraus in meiner Erfahrung bisher eigentlich immer entwickelt hat – egal in welcher Mannschaft – ist ein weiteres sehr positives Abfallprodukt dieser taktischen Variante: Zu wissen, dass ich mich auf den Nebenmann verlassen kann.
(Quelle: Fussball – Strategien des Siegens – Ein Beitrag von Ralf Rangnick, 2001)
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1 Kommentar:
Höchst interessanter Beitrag! Ich empfehle als Ergänzung die Seite http://www.abwehrkette.de/ mit einer Vielzahl von Trainingseinheiten, die in Teilen auch schon beim Montagstraining erprobt wurden.
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