Die Sonne brannte erbarmungslos am Himmel, der ausgedorrte Rasen lag wie ein ausgebleichter grüner Teppich im Stadion am Priesterweg. Und in der flirrenden Luft hing plötzlich ein Satz, bedeutungsschwer wie eine Botschaft aus dem syrischen Kriegsgebiet: „Ein ungerechtes Ergebnis. Die schlechtere Mannschaft hat gewonnen.“ Ein Spieler von Internationale hatte ihn in diese aufgeheizte Atmosphäre gesprochen, der Spieler war verschwitzt wie alle auf dem Platz. Hinter diesem Satz steckt natürlich eine kleine Tragödie. Wie auch sonst? Es geht schließlich um den BSC.
Begonnen hatte diese Geschichte in der BSC-Kabine. In der standen beim Pokalspiel gegen Internationale auf einmal mehrere Leute, die kein Mensch von den Alten kannte. Es waren Neuzugänge der 2. Ü 40. Einer entpuppte sich als Kumpel von Frank Möller, der Zweite als Kumpel des Kumpels von Frank Möller, der Dritte hatte mal von Frank Möller gehört, das empfand er als ausreichend für einen Wechsel zum BSC, der Vierte hatte Frank Möller mal an der Uni kennen gelernt, als sie gemeinsam nach dem Attentat auf Rudi Dutschke trauerten. Zwei weitere Personen entpuppten sich als Internationale-Spieler, die in die falsche Kabine getrottet waren.
Alle gaben sich die Hand und murmelten dabei ihre Namen. Einer der neuen stellte sich so vor: „Ich heiße Andreas, Kampfname: Batman.“ Kampfname, das klang gut. Schon nach wenigen Minuten wussten die Neuen aber schon nicht mehr die Namen der Alten, umgekehrt war es genauso. Eine dumme Situation: Wie soll man sich auf dem Platz Anweisungen geben, wenn man den Namen des anderen nicht kennt?. Nach kurzer Diskussion löste der Kassenwart das Problem, in dem er Aufkleber, die normalerweise auf Akten gepappt werden, aus der Tasche zog. Er hatte sie eingepackt, weil er sie später im Büro benützen wollte. Jeder beschriftete seinen Aufkleber möglichst groß mit seinem Namen und drückte ihn auf die Brust.
Das Spiel begann für den BSC ausgezeichnet. Frank „Superman“ Möller setzte im Mittelfeld seine Nebenleute gut ein, Klaus „Heiligsblechle“ Schmid rannte wie immer mit großem Einsatz, Volkmar „Top gun“ Steinmeyer hielt hinten die Abwehr sicher. In den ersten 20 Minuten kam Internationale kaum mal in die Nähe des BSC-Strafraums. Der BSC griff früh an, machte die Räume eng und eroberte mit viel Einsatz immer wieder den Ball. In der Defensive spielten Rene „Nighthawk“ Diehne und Elias „Darth Vader“ Rohana sehr zuverlässig. Vor allem Dietmar „Nenn mich Jack, the killer“ neu zeigte im Mittelfeld eine sehr solide Leistung und war ballsicher. Das 1:0 war dann nur folgerichtig. Nach einem schön gezirkelten Eckball von Frank „Superman“ Möller köpfte „Killer Jack“ wunderbar und unhaltbar ein. Das 2:0 entstand aus einem guten Angriff, allerdings war der Gegner durch den Ausfall seiner Nummer 13, Kampfname: „Verdammt, muss das ausgerechnet jetzt passieren“, geschwächt. Der Spieler hatte Probleme mit seinen Kontaktlinsen und musste kurz rausgehen. Diesen Vorteil nützte der BSC gnadenlos aus. Er hätte sogar auf 3:0 erhöhen können, doch Stefan „Sniper“ Krappweis vergab die Chance, weil er nicht mehr rechtzeitig den Fuß an den schwierigen Ball bekam. In dieser Phase hatte Internationale nur eine richtig gute Tormöglichkeit. Doch den Drehschuss aus 16 Metern entschärfte Piet „Jabba der Hutt“ Richter mit einer souveränen Flugparade. Nach 20 Minuten kam Internationale stärker auf, weil der BSC zwar mit viel Kraft den Ball erobert hatte, den dann aber, geschwächt durch den Aufwand, im Aufbau zu leicht wieder abgab.
Trotzdem sah es lange so aus, als würde der BSC dieses Pokalspiel gewinnen. In der Pause gab’s kurze Diskussionen, ob man gemeinsam mit dem BAK den Pokaltriumph feiern sollte, doch Ekki „Ich bin ein Tiescher“ von Wick mahnte zur Besonnenheit und Zurückhaltung, vor allem deshalb, weil er kaum noch in der Lage war, seine vom Schweiß beschlagene Brille vom Gesicht zu schälen. Die meisten Spieler hatten längst ihre Aufkleber verloren, sie waren in hart umkämpften Zweikämpfen abgerissen worden und lagen jetzt irgendwo zusammengeknüllt auf dem Rasen. Niemand achtete darauf, ein folgenreicher Fehler, wie sich bald herausstellen sollte. Aber in diesem Moment ahnte keiner das Unheil.
Die zweite Halbzeit plätscherte dahin, alles lief wie in der ersten Hälfte, eigentlich warteten alle nur auf den Abpfiff. Bis plötzlich ein Internationale-Angriff über halblinks lief. Ein BSC-Verteidiger attackierte den Ballführenden, in der Mitte sah „Killer Jack“, dass ein Internationale-Spieler freistand und brüllte einen Mitspieler um Verstärkung an. Leider hatte er seinen Namen längst vergessen, einen Aufkleber konnte er auch nicht erkennen, also schrie er den ersten Namen, der ihm im Moment einfiel: „Top gun, übernimm“. Aber „Top gun“ Steinmeyer saß längst draußen und beobachtete das Spiel im Schatten. 1:2.
Aber 1:2 ging ja immer noch. Die letzten Sekunden. Ein weiter Ball von Internationale ins Feld des BSC, ein Rettungsversuch mit einem Kopfball misslang, ein Internationale-Spieler hatte freie Fahrt und in der Mitte brüllte Andreas „White snake“ neu um Verstärkung im Kampf gegen zwei Internationale-Spieler. Auch er hatte längst jeden Namen vergessen. „Sniper greif ein“, brüllte er auf Gratewohl. Stefan „sniper“ Krappweis spähte hinter der Mittellinie interessiert auf die Szene vor dem BSC-Tor. Auch Piet „Jabba der Hutt“ Richter konnte das Gegentor nicht mehr verhindern. 2:2.
Alle sanken enttäuscht auf den Boden, die Sonne brannte, der Schweiß floss. Alle Beteiligten einigten sich: sofort Elfmeterschießen. Nun begann der eigentliche Teil des Dramas. Jede Mannschaft musste fünf Schützen benennen. Frank Möller, der die Ansage machen sollte, winkte nur erschöpft ab. Die anderen lagen ausgepowert auf dem Gras. „Komm, mach Du das“, sagte Frank Möller ermattet zu einem der Neuen. Das weitere Prozedere interessierten weder ihn noch die anderen BSC-Spieler, die keuchend nach Wasser verlangten.
„Welche Namen soll ich notieren“, fragte der Schiedsrichter den BSC-Vertreter Olaf, dessen Nachnamen kein Mensch kannte und der zufällig nur am nächsten zum Unparteiischen stand. Der Schiedsrichter hätte natürlich einfach nach den Nummern fragen können, doch in der Hitze war keiner mehr zu einem klaren Gedanken fähig. Noch mehr Blut schoss Olaf in den Kopf. Namen? Welche Namen denn, Herrgott. Er kannte doch kaum einen. Hektisch überlegte er. Der einzige Name, der ihm sofort einfiel, war „Darth Vader“. Den fand er witzig, weil er Star Wars liebte. „Darth Vader“, diktierte er dem Schiedsrichter. Der starrte Olaf an als hätte er einen rot-weiß gestreiften Schimpansen vor sich. „Darss Vatter“, wiederholte er. „So heißt jemand?“ „Äh, nein“, stammelte Olaf hastig. „Notieren Sie Elias.“ Olaf überlegte krampfhaft, welche Namen ihm noch im Gedächtnis waren, während um ihn herum die anderen BSC-Spieler teilnahmslos da hockten, völlig ahnungslos von dem Drama, das sich drei Meter weiter abspielte. „Rene und Dietmar“, platzte Olaf noch heraus. Ein archaisches Überlebensprinzip griff in dieser Sekunde. Im Moment höchster Not ist ein Mensch zu unwahrscheinlichen Leistungen fähig. „Rene und Dietmar“ war so eine Leistung. Aus irgend einem Winkel seines Gehirns, in dem die Namen flüchtig abgespeichert waren, hatte Olaf sie wieder hervorgezaubert. Weiß der Teufel wie. Aber damit waren seine Reserven erschöpft. Er kannte keinen weiteren Namen. Verzweifelt beschloss er zu improvisieren, in der Hoffnung auf einen Zufallstreffer. „Manfred“, diktierte er. Die Nummer sechs von Internationale drehte erstaunt den Kopf, Olaf bemerkte es nicht. „Rüdiger“, sagte er auch noch. Die Nummer zehn von Internationale schreckte auf.
Das Elfmeterschießen. Der Schiedsrichter rief einzeln und namentlich die Schützen auf. Rene, Dietmar und Elias trafen für den BSC, „Jabba der Hutt“ konnte einen Elfmeter abwehren. 3:1 für den BSC.
Ein Internationale-Spieler trat an, Treffer. 3:2 „Manfred“, rief der Schiedsrichter mit Blick auf seine Notizen. Die Nummer sechs von Internationale trat zum Elfmeterpunkt und legte sich sorgfältig den Ball zurecht. Erst jetztt begriff der BSC, dass hier etwas schief lief. Kein Mensch hatte sich nach den BSC-Schützen erkundigt, jeder dachte ,er werde schießen, wenn sein Name aufgerufen werde. Heftige Proteste prasselten auf den Schiedsrichter ein. Der zeigte erregt auf den Namen „Manfred“ auf seinem Zettel und pfiff an. Treffer 3:3.
Ein Internationale-Spieler trat an, Treffer, 4:3.
Nun war der BSC wieder an der Reihe. „Rüdiger“, sagte der Schiedsrichter streng. Rüdiger stand auf, das Internationale-Trikot klebte an seinem Körper, die Rückennummer zehn war dunkel eingefärbt. Er zielte sorgfältig, „Jabba der Hutt“ war chancenlos“, Internationale war im Pokal weiter. Und Rüdiger sagte in die flirrende Luft: „Ein ungerechtes Ergebnis. Die schlechtere Mannschaft hat gewonnen.“
In der BSC-Kabine kam es zu erregten Diskussionen. Die Gründe für diese Blamage wurden eindringlich debattiert, mehrere Lösungsvorschläge, mit denen solch ein Debakel in Zukunft verhindert werden sollte, schwirrten durch den Raum. Nach intensiven Diskussionen einigte man sich mit Mehrheitsbeschluss auf eine nahezu geniale Lösung. Die Mannschaft zieht in Kürze geschlossen zu einem Hufschmied in Lübars. Dort werden die Namen auf die Stirn eingebrannt.
Frank B.
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