Der weiße Handschuh
Der weiße Handschuh ging in die Luft und konnte den Ball mit letzter Kraft wegpatschen. Ich stand bei meinem "Neuner", natürlich zwischen ihm und der Torlinie, die sich ungefähr 1,50 m von mir befand. Wir waren alle vor dem BSC-Tor. Es ging hektisch zu. Ich hatte (mal wieder) einen Freistoß kurz vor unserem Neunmeterraum verursacht, allerdings gegen, das möchte ich zu meiner Ehrenrettung anmerken, gegen den wahrscheinlich besten Mittelstürmer der Staffel. Na gut, meinetwegen auch den drittbesten, nach Amer und Stephan (und vielleicht Marco, aber davon später).
Jetzt standen wir alle (ca. zehn Mann) im Torraum, und guckten uns interessiert die Bemühungen von Bürgern dieses Landes an, ein Fußballtor zu schiessen (Rolle 1: Wittenauer Amateurfussballer) bzw. es zu verhindern (Rolle 2: BSC-Torwart).
Der abgewehrte Ball fiel dem Wittenauer wieder vor die Füße. Er probierte den Torschuß diesmal flach.
Taktik und anderer Quark
Wir hatten uns vor dem Spiel Gedanken gemacht. Taktik und so. Aufstellung - wer spielt wo? Rechts links, vorne hinten. Fragen gestellt. An uns selber. Spielen wir total defensiv, oder vorsichtig nach vorne gerichtet? Wie ist XY drauf? Noch verletzt? Welchen Eindruck hat er im Training gemacht? Wer nimmt den extrem gefährlichen Mittelstürmer, der immer so aussieht, als wenn er kein Wässerchen trüben könnte.
Bei diesem Nachdenken fühlt man sich wie jemand, der nach 120 Länderspielen zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist, um dem Fußball etwas zurückzugeben. Aber im Grunde genommen ist das alles Quark!
Insbesondere, wenn nach ca. 95 Sekunden Spieldauer ein Wittenauer seelenruhig über rechts gehen kann, ohne angegriffen zu werden und den hohen Ball spielt. Auf eben diesen Mittelstürmer. Der steht zwei Meter vor unserem Tor - und köpft. Ungedeckt! Und der Ball ist drin! 1 : 0 für SC Wittenau 1910 Concordia e.V., der Mannschaft, die uns im Hinspiel hoch geschlagen hat (das Ergebnis ist bei fußball.de nachzulesen) und uns letztes Jahr von der Tabellenspitze vertrieben hat, um sie seitdem selber zu inne zu haben.
Marco, der Hrubesch vom Hubi
So ist das mit Taktik und anderen geplanten Dingen: Im Grunde nicht unwichtig, aber es muß noch Seele dazu kommen. Gestern sorgte die positive Grundstimmung und die seit Monaten beste Besetzung für eines der hochwertigsten Saisonspiele. Ja, richtig gelesen, trotz Niederlage war es ein Super-Spiel, von der Anlage her als auch vom kämpferischen Einsatz.
Seinen Durchbruch in der Siebener hatte Marco D. Immer in Bewegung, nie von der besten Abwehr der Staffel unter Kontrolle zu bekommen. Immer der Versuch eine Anspielstation zu sein wie auch Räume für ballführende Mitspieler zu schaffen. Seine Leistung krönte er mit einem Kopfballtor (das 1:1, 1. Halbzeit), welches er in Manier eines Horst Hrubesch erzielte. Auch varierte er sehr schön zwischen den Versuchen 1:1-Situationen positiv zu lösen, und ballhaltend auf nachrückende BSCer zu warten. Amer wird es schwer haben!
Ende der ersten Halbzeit hatten wir unsere stärkste Periode. Die Torchancen häuften sich, wir drückten diese Klasse-Mannschaft richtig hinten rein. Die allerdings, und das zeichnet eben Mannschaften dieses Kalibers aus, behielten die Ruhe. Eine kurze Meckerarie als Aufwecker und das wars. Allerdings auch mit unseren Angriffsbemühungen. In der zweiten Halbzeit konnten wir daran nicht mehr anknüpfen, wenngleich wir die größere Ballbesitzquote hatten. Ein verlorener Zweikampf gegen den Mittelstürmer, ein Schuß aus kaum denkbarer Position, der abgefälscht, und schon hieß es 1:3 (2.Halbzeit).
Der weiße Handschuh II
Diesmal tauchte Karsten mit der anderen Hand runter und wehrte den Ball nach vorne ab. Wieder zum Gelben. Ich beobachtete immer noch die Szene und schien nachzudenken. Sollte ich? Oder sollte ich nicht? Der Wittenauer hatte in dieser Sekunden-Situation Adrenalinausstöße jenseits messbarer Größen. Verzweiflung über eine vergebene 180 % tige Torchance (einen Meter vor der Torlinie) und Glückshormonausschüttung wegen der sich neu ergebenen, ließen ihn durch ein Wechselbad der Gefühle gehen.
Die gleichen Gedanken, die ich mir machte, hatte auch sein Gegenspieler. Der stand zwischen dem Wittenauer Amateurfußballer und der Mittellinie, also hinter ihm (?). Und überlegte. Wie ich auch! Aber wir haben ja Karsten! Den dritten Schußversuch, der halbhoch kam, faustete er mit seinen REUSCH-Handschuhen natürlich auch ab. Der Wittenauer sah sich schon in den Heilstätten, die zufälligerweise auch in seinem Ortsteil liegen. Der vierte Versuch brachte es dann doch noch: Karsten, an strukturierten Fußball gewöhnt, hatte mit diesen piekenartigen Heber nicht gerechnet, weil zu einfach, und der Ball zappelte im Netz (1:2, 1.Halbzeit). Endlich! Ich hatte meine Überlegungen beendet, und dachte mir so, dass ich hätte eingreifen können, ja vielleicht müssen. MüssenKönnenHätteWennundAber.
In der Kabine war alles vergessen, die Stimmung gut, der Blick wurde schon wieder nach vorne gerichtet (nächstes Spiel gegen Südwest 1947, Sonntag, 2.4.2006, Treff 08:15, Lessingstr./Steglitz), auch weil der genesene Hans Sch. uns BITBURGER spendierte. Danke!
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
Ich glaube es gibt diesmal keinen weiteren Kommentarbedarf. Alles ist im Anschluß ans Spiel in der Kabine und im guten Beitrag von Dickie gesagt worden.
Nur eine Bemerkung noch, ohne in die Lobeshymnen für Marco D. einzustimmen, der wirklich zweimal hintereinander stark aufgetrumpft hat. Amer muß um überhaupt nichts fürchten, im Gegenteil: es scheint als hätten wir plötzlich eine ungeahnte offensive Perspektive, nämlich die Möglichkeit auch einmal mit 2+1 Stürmern agieren zu können. Das soll ja nicht bedeuten, unseren bewährten Stil über Bord zu werfen sondern eine neue Variabilität zu gewinnen. Ich will es mal so sagen: der Zugewinn von Marco, aus der Arbeit die er übernimmt, könnte im Ergebnis irgendwann noch sehr viel mehr sein, als es sich jetzt -ungeachtet seines Klassestores- abzeichnet.
Schade, dass ich Sonntag passen muss. Warum eigentlich?
Kommentar veröffentlichen