Was tut man nicht alles für den Fussball. Zum Beispiel den Pflicht-Besuch bei der Mutter im Altenheim in Westdeutschland auf Samstag Mittag bis Samstag Abend terminieren, den Übernachtungsaufenthalt beim Freund in Magdeburg so knapp halten daß es gerade nicht als unhöflich ausgelegt werden kann und daselbst auf die wirklich rauschende Grappa-Party verzichten, weil Sonntag ist ja Fußball-Termin und irgendetwas tief Innen drängt dazu, unbedingt bei der 7er dabei sein zu wollen.
Der Erste, der am Sonntagmorgen aufwacht ist natürlich Carlitos und die eigene Biokurve trotz zwei Kapitel 'Jim Knopf' vorlesen und eineinhalb Stunden Autobahnfahrt doch nicht so gut wie erhofft. Na ja, vielleicht kann's ja ein 'Red Bull' für heute richten...
Also rauf aufs Fahrrad und den Luxus des Heimspiels kosten, was ungefähr einmal in zwei Jahren passiert. Heimspiel in Neukölln? Na, lieber nicht. Aber der Spätsommersonntag platzt so richtig aus allen Nähten und außerdem will ja Carlitos zum Zugucken kommen. Und Papa hat extra die neue orangene, bei Ebay ersteigerte Jacke mit seinem Namen drauf angezogen...
Man muß sich wohl nicht so richtig auf Probleme gefaßt machen, schließlich ist der Gegner Hürtürkel bislang in vier Spielen erst einmal siegreich gewesen und schließlich sind wir ja nicht zufällig Tabellenführer. Entsprechend wenig zielgerichtet die Vorbereitung auf den Anstoß. Und es sind schlappe 25 Grad im Schatten. Da spielt man besser erst einmal auf Abwarten. Mit den Kräften haushalten usw.
Das Spiel plätschert so dahin. Wo bleibt eigentlich Carlitos? Hürtürkel ist beileibe keine Gurkentruppe, sondern erstaunlich offensiv aufgestellt. Aber die Aufgabenverteilung bei uns scheint halbwegs zu funktionieren. Die Dreierverteidigung ist vielleicht etwas zuviel des Guten. Dominanz im Mittelfeld sieht irgendwie anders aus.
Wie gesagt, es plätschert so dahin- oder anders gesagt: nicht gerade einfach ins Spiel zu kommen, wo man irgendwie genug mit sich selbst zu tun hat und das Paßspiel ungewöhnlich oft in Stolperei endet. Dann, nach etwa zehn Minuten, langer Ball vom türkischen Vierer in die Spitze zum starken Zehner, Standardspielzug der Neuköllner- eigentlich keine Gefahr, aber der Papa von Carlitos... nein, es ist nicht wirklich Unkonzentriertheit, eher eine Art Überheblichkeit, denn als er bemerkt, daß der gegenerische Stürmer den Ball tatsächlich erlaufen kann, ist es längst geschehen.
Okay, 0:1- kein Beinbruch. Wo ist eigentlich Carlitos? Gut, daß er das nicht gesehen hat. Und scheiß 'Red Bull': steht nicht auf der Dose: "verbessert die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit." Aber nur keine Panik. Oben stehen bedeutet schließlich an sich selbst glauben und irgendwer wird denen schon einen reinhauen und dann wird das schon. Aber denkste. Marco, Stephan, Amer können sich zwar die eine oder andere Einschußchance herausspielen, doch entweder ist da der Hürtürkel-Keeper davor oder es will heute einfach nicht.
Halbzeit. Endlich Wasser, endlich Schatten. Die mangelnde Zweikampfbereitschaft wird eingeklagt. Gut, das wird sich in der zweiten Halbzeit ändern. Aber das eigene Spiel wird nicht wirklich besser. Zerfahren könnte man so etwas nennen, und die Außenstehenden sind sich eigentlich einig, daß dieses Spiel wohl entschieden ist, wenn ein 0:2 fallen sollte.
Und genau so kommt es: ein Distanzschuß, wahrscheinlich vom Vierer, wahrscheinlich abgefälscht und unser wirklich prächtig aufgelegter Ersatztorwart Pete ist ohne Chance. Wo ist eigentlich Carlitos? Gut, daß er das heute nicht mit ansehen muß. So schlecht wie der verlieren kann...
Irgendwie ist das Ding durch. Manni, Marco haben gute Möglichkeiten, aber heute will die Kugel nicht ins Tor, fehlt auch die letzte Entschlossenheit. Mitte der zweiten Halbzeit dann doch eine Kombination, ein Angriff der richtig ausgespielt wird, und Manni kann letztlich mühelos verkürzen.
Oh, wundersame Magie des Fußballs -geht da vielleicht doch noch was? Nicht wirklich. Zwar ist jetzt eine gewisse Kompromißlosigkeit im Zweikampf zu vermerken -immerhin kommt der Schiri ja aus unseren eigenen Reihen-, aber wahrscheinlich kann es heute nur eine Einzelaktion richten. Und die Einzelaktion kommt, und natürlich ist bei Stephans Schuß ins lange Ecke nach schönem Dribbling auch einges an Glück dabei. Aber wie heißt es immer so schön beim richtigen Fußball: die besseren Einzelspieler machen den Unterschied.
Noch 10 bis 12 Minuten bleiben, und im Prinzip ist das Unentschieden mehr als man nach dem Spielverlauf erwarten durfte. Immerhin haben die Türken beim Spielstand von 1:2 durch den Vierer eine Zweihundertprozentige die sie leichtfertig über den Querbalken hauen und wenig später noch einen Lattenschuß. Oh Fußball, deine Gesetze sind bisweilen so banal...
Der Kräfteverschleiß macht sich allerorten bemerkbar- einer der Gegner kann sich nur noch humpelnd über den Platz bewegen, Marco hat sich irgendetwas Schlimmes mit seinem linken Daumen getan und der Papa von Carlitos ist kurz vor einer Oberschenkelzerrung. Aber was tut man nicht alles für den Fußball.
Für wen? Wo ist eigentlich Carlitos? Lange Rede, kurzer Sinn: ein schlampiger Abwurf des ansonsten tadellosen Türktorwarts, Stephan dazwischen, Schuß, Abpraller, und aus zehn Meter mit dem Innenrist durch Freund und Feind: der mehr als unwahrscheinliche Siegtreffer! Der Papa von Carlitos läßt sich endlich auswechseln- jetzt ist die Zerrung wirklich da. Aber wo war nur Carlitos?
Schlußpfiff. Der Kleine kommt auf mich zugerannt, strahlend, jubelnd. Das Tor hat er natürlich nicht gesehen. Hatte seinen Freund Lazlo auf dem Spielplatz getroffen und Papas Spiel glatt vergessen. Na Klasse- für wen mache ich das hier eigentlich?
24. September 2006
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7 Kommentare:
Nach diesem Bericht nicht mit dabeigewesen zu sein, das schmerzt doppelt !!
Vor allem natürlich wegen Carlitos und auch Papas Jacke !
Ach ja - wer war denn der Schieri ?
Wieder mal ein stimmungsvoller Artikel von Dir, obwohl wir immer noch auf die Fortsetzung der früheren Spielberichtsgeschichte "Potsdamer Platz-Bekanntschaft Blonde Telefonverkäuferin" warten!
Mit der Überschriftsfrage ziehst Du den Spannungsbogen zu diesem "Last Two Minutes Goal" von Carlitos Vater. Es stellen sich aber auch Fragen (Achtung IRONIE!):
Ist Carlitos schon BSC-Mitglied? Wenn er am Rande von Berliner Sportplätzen bespielt werden kann, warum nicht auch Montagabend auf dem Hubi, z.B. mit Tom Hä.(10)? Wie geht es Marco? Hast Du im "Waldfriede angerufen, quasi recherchiert?
Als ich auf den Platz kam, erkannte ich die BSC-Mannen nicht wieder. Hürtürkel (die die Zahlung des Schiri-Geldes verweigerten!!)kombinierte nach Belieben. Beim BSC die Abkehr vom Sicherheitsfußball, kein Kurzpaßspiel, auch bedingt durch Pressing des Gegners, aber trotzdem: es sah in der ersten Hälfte grauenvoll aus. Ein sehr glücklicher Sieg, wenngleich zum Schluß nicht unverdient. Auch die Nachspielzeit geht in Ordnung(Schiri gab Andi Sch., hätte sicher auch gerne gespielt!).
Der nächste Gegner (Montag, 2.10.06) ist wieder eine Mannschaft mit einem Türkischen Namen (Trakiya Spor). Wenn die genauso kombinieren, müssen wir den Papst (ist vielleicht z.Zt. unpassend...) oder jemand anders in der Tasche haben.
Teuer erkauft dieser Sieg kann ich nur sagen...
Was Trakyaspor betrifft, so kommt es kommenden Montag wohl zum Spiel Zweiter gegen Erster. Nur gut, daß wir nicht in der Favoritenrolle sind und, gemessen an der gestrigen Leistung, eigentlich nur gewinnen können. Ich hoffe daß wir trotz der vielen Ausfälle eine schlagkräftige Truppe zusammen bekommen. Aber Dicki macht das schon...
Gute Nachricht!
Aber für uns wäre es noch besser, wenn er schon am 2.10 spielen könnte! Nun denn!
Trakya (was heißt das eigentlich?) hat schon 10 Tore mehr geschossen als wir!
Falsche Frage.
Nicht > Was heisst das eigentlich ? < müsste es heissen, sondern > Wo liegt das eigentlich ? <.
Naja, Dicki, könnte man eigentlich wissen... Gerade Du als grosser Freund der türkischen Kultur.
Trakya ist das westlichste Gebiet in der Türkei; es reicht rüber und rein bis nach Griechenland und Bulgarien (so ähnlich wie weiter oben Lappland: ein bisschen Norwegen, etwas Schweden, Finnland und Russland noch dazu...).
Hoffentlich haben wir nach dem Monday-Night-Game keine gesteigerte Veranlassung, uns mehr Gedanken über Trakya machen zu müssen. Dürfte aber auf jeden Fall ein heisser Tanz werden...
Mir san mir !
Sorry, Freunde - mal anders als auf dem Spielfeld: Marco war drei Minuten schneller als ich...
(Nicht böse sein, Marco ! Und allerbeste und schnelle Besserung !!!)
Ja Effendi! Ich weiß, dass ich nichts weiß! Bei meinen fünf Reisen in die Türkei (die erste 1986, unvergeßlich!!)habe ich mich mit dieser Region gar nicht auseinandergesetzt. Ich war eher im Dreieck Adana, Bursa, Kappadokien zugange.
Interessant dürfte am Montag die Motivation für diese Namensgebung sein: Erinnerung an die ursprüngliche geografische Herkunft/europäischer Teil der Türkei; Sendungsbewußtsein: Thrakien: vom Schwarzmeer bis nach Wien; oder in Memorial der Westthrakischen Türken in Griechenland, die nach wie vor schweren Diskriminierungen ausgesetzt sind (s. Human Rights Watch, Gesellschaft für bedrohte Völker)? Vielleicht sollten wir am Montag den Mittelstürmer zutexten mit unseren Fragen!
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