27. April 2008

Bäume und Sportplätze


Vielleicht mussten sie ja sogar die Feuerwehr alarmieren. Dann hätte der Auftrag so gelautet: „Kommt mal mit einer Kiste vorbei, auf die eine Drehleiter geschraubt ist, wir haben da ein kleines Problem. Wir sind ja nun nicht mehr die Jüngsten, auf Bäume zu kraxeln, das sollen mal andere machen, unsere A-Jugend zum Beispiel, aber die ist irgendwo in Lichtenrade auf dem Platz, und anschließend trinken die ja noch ganz gerne. Die kann man dann doch so bedüdelt nicht mehr auf einen Baum jagen. Aber wer soll dann den Ball holen. Der liegt da oben, zehn Meter überm Boden, festgewachsen. Herrgott, wir brauchen den doch, war ja teuer, das Teil.“
Vielleicht haben sie ja auch eine lange Stange gefunden und dann eine Stunde lang rumgefummelt, und irgendwann plumpste der Ball dann auch so runter. Ist ja auch egal, Hauptsache, sie hatten am Sonntag gut zu tun beim Corso/Vineta. Das gehört sich so als Respekt vor einem Kunstwerk, man soll sich ja daran erinnern.


Der Künstler hieß Manni, und das erste Kunstwerk war schon mal, dass er in 85. Minute noch überhaupt die Kraft hatte, den Ball mit voller Wucht zu treten. Aber das war, sollte sich schnell herausstellen, nur das Präludium. Die eigentliche Kunst war die Richtung des Balls. Der flog und flog, immer höher, der Torhüter von Corso/Vineta bekam schon Nackenschmerzen vom Hockgucken, und dann landete der Ball in einer riesigen Kastanie hinter dem Platz, ruckelte noch kurz durchs Geäst und blieb dann majestätisch in einem Laubwerk liegen. Der erste Versuch, zehn Minuten zuvor, war Manni noch grandios misslungen, da landete der Ball auf der Tartanbahn, höchstens 20 Meter vom Tor entfernt. Immerhin: Die optimale Flughöhe hatte er da schon erreicht. Eine Rohfassung des Kunstwerks sozusagen.


Es war der erhabene Schlusspunkt hinter viele BSC-Kunstwerke, da soll man mal gar nicht bescheiden sein. Es war zum Beispiel eine Kunst, so viele optimale Torchancen zu vergeben, wie wir in der ersten Halbzeit gemacht haben. Es war eine Kunst, den Ball nach einem Weitschuss unter dem Bauch durchrutschen zu lassen, wie das Pete nach fünf Minuten passiert ist. Es war eine Kunst, den gegnerischen Stürmer bei einer Flanke so sehr allein stehen zu lassen, dass der in Ruhe die Äste der großen Kastanie vor ihm hätte zählen können, wie das nun wiederum dem Autor, besser bekannt unter Frank B., passiert ist. Eine nicht ganz so große Kunst ist es, die Bälle teilweise wild und unkontrolliert nach vorne zu jagen, wie wir das auch in der ersten Halbzeit gezeigt haben. Das zeigen wir aber öfter, insofern zählt das als
Handwerk.


Aber ein großer Moment der Fußballkunst war zweifellos die Fähigkeit mehrerer BSC-Spieler, so wendig und geschickt aus dem Weg zu gehen, dass ein Vineta-Spieler, der zweifellos ohne Probleme die 100 Meter unter einer Minute bewältigt, 60 Meter über den Platz laufen konnte und dann mit dem letzten Funken Kraft noch einschießen konnte. Zum …? Ja, zum wie viel denn? 5:1, 4:1? Man verlor ja ein bisschen den Überblick, die Tore fielen so schnell in der zweiten Halbzeit.


3:1 stand’s zur Halbzeit. Das bestritt keiner. Das war bloß auch ziemlich unnötig. Zwei Geschenke an den Gegner, ein schön heraus gespieltes Tor nach einem Doppelpass, macht drei Gegentreffer. Auf der Gegenseite traf Manni nach einer enormen Energieleistung. 3:1 also zur Halbzeit, das war ein bisschen ungerecht, rein statistisch gesehen. Chancen hatten wir ja genug. Aber es war halt mal die Wahrheit. Dass Manni überhaupt so eine hervorragende Leistung zeigte, verwundert nach seiner Verletzungszeit.


Er war ja nicht der einzige, der nicht in Bestform sein konnte. Schimmi tauchte auch wieder nach längerer Auszeit auf, zeigte stolz seine Restwunden an seiner Hand und stürmte vor Anpfiff auf den Platz, als wollte er den Gegner plus Reservespieler allein über den Haufen rennen. Eine ehrbare Absicht, nur nicht kompatibel mit seinem konditionellen Zustand. Es blieb dann bei einer kämpferisch guten Partie. Boris spürte Probleme mit seiner Wade, sorgte dann aber für eines der BSC-Kunststücke, als er einen Kopfball mit solcher Kraft und Präzision Richtung Vineta-Tor wuchtete, dass man Angst ums Tornetz bekommen musste. Angst hatte dann aber bloß der Vineta-Spieler, der den ball von der Linie kratzte und dann, überwältigt von seinem heroischen Einsatz, gleich auf die Torlinie sank.


Das alles erklärt aber nicht, warum bei heißen Temperaturen die BSC-Abwehr irgendwann die Widerstandkraft von 100 Gramm Schinkenwurst hatte. Beim 4:1, war es das 4:1?, standen drei Vineta-Spieler vor Petes Tor frei, und das wirklich allergrößte Kunststück des Tages wäre es nun gewesen, das Tor nicht zu treffen. Aber die Gegner sind keine Künstler, nur Handwerker, also trafen sie, und der BSC zeigte zunehmend stärker jene Leidenschaft, mit der auch ein übermüdeter Nachtportier einen neuen Gast berät. Es war letztlich eine Frage der Kondition und der Konzentration und des Willens. Wer so klar zurück liegt, der will irgendwann nicht mehr. Andererseits, auch das war unbestritten: Lange, lange Zeit gab jeder alles. Schwaben-Klaus zum Beispiel kämpfte wie ein Verrückter, Boris hatte mit Schlusspfiff seine letzten Kraftreserven aufgebraucht.


Das Ergebnis? Ach ja, das Ergebnis? 6:1 für Vineta.
Ob der Ball jetzt schon wieder auf der Erde ist, weiß keiner. Vielleicht haben die Jungs ja auch die Feuerwehr erst ml gar nicht benachrichtigt. Es gab ja Wichtigeres. Einer der Vineta-Spieler marschierte im verschärften Trab zur Kabine. Was rennste denn so?, fragte ihn eine blonde Frau ratlos. Der Typ stürmte weiter und drehte im Laufen den Kopf nach rechts: „Ich muss doch noch wählen.“


Frank B.

1 Kommentar:

Dicki hat gesagt…

Schöner Bericht Frank! Atmosphärisch dicht gewebt, man ist in der ersten Reihe und fragt sich: "Werden die den Ball wiederkriegen?"
Der Stoff aus dem Träume sind.