19. Mai 2008

Hoffenheim kommt! Rangnick und Taktik I

Hoffenheim 1899 ist also aufgestiegen. Ob dieser Verein ein großer Sympathieträger in der Bundesliga wird, bleibt zu bezweifeln. Aber Hoffenheim kommt mit einem der interessantesten Trainer des deutschen Fußballs - Ralf Rangnick. In dem Beitrag "Fussball – Strategien des Siegens" stellte er 2001 die mittlerweile überall Eingang gefundende Vorstellung von modernem Fußball vor:

Ballorientiertes Abwehrverhalten

(rr). Wir Trainer haben am Anfang einer Saison sicherlich alle so ziemlich die gleichen Probleme - unabhängig von der Spielklasse der Mannschaft, die wir betreuen. Das erste Spiel bringt Probleme mit sich, bei denen es zweitrangig ist, ob die Mannschaft in der Kreisliga B spielt oder in der Bundesliga. Für mich ist es deshalb auch an dieser Stelle wichtig, eingangs über Ziele zu reden und zwar über die doch manches mal unterschiedlichen Ziele, die Vereine verfolgen und über Ziele, die wir Trainer uns stecken.

Je weiter oben die Mannschaften spielen, desto mehr sind natürlich auch wirtschaftliche Faktoren Einflussgröße für artikulierte Tabellenplatzziele. Wir Trainer sollten aber immer darauf achten und uns auf das konzentrieren, was wir eigentlich beeinflussen können mit unseren Mannschaften. Nur weil ich einen Tabellenplatz als Ziel ausgebe, habe ich noch lange keinen Einfluss auf die Mannschaft erzeugt. Ich habe vielleicht einen gewissen Druck erzeugt, der für manche Mannschaften ganz gut ist, aber Grundlagen für das Erreichen dieser Ziele habe ich damit nicht geschaffen. Schon zu Zeiten, als ich mit dem SSV Ulm aufgestiegen bin in die Zweite Bundesliga, wurde ich immer wieder gefragt, was unser Tabellenplatzziel sei. Ich habe gesagt, ich habe eigentlich kein Tabellenplatzziel, aber wir sind natürlich nicht aufgestiegen, um gleich wieder abzusteigen.

Für mich war es wichtiger, dass wir die Spielweise, mit der wir aufgestiegen sind, versuchen, auch in der neuen Liga durchzubringen. Das war für mich das eigentliche Ziel der Saison und für mich lauten auch jetzt wieder für die neue Saison die Ziele nicht unbedingt, Erster, Zweiter, Dritter Vierter, Fünfter, Sechster zu werden, sondern, es wird wichtig sein, die Art von Fußball, die wir auch als Trainer versuchen vorzugeben, auf die Mannschaft zu übertragen und es zu schaffen, sie zur eigenen Sache der Spieler zu machen. Das Motto für mich als Trainer lautet ganz einfach: Wie schaffe ich es, der Mannschaft Mittel und Wege an die Hand zu geben, so dass der Gegner möglichst wenig Torchancen herausspielen kann und wir umgekehrt aus dieser Situation heraus möglichst viele Torchancen kreieren können?

Und wenn es uns über den Verlauf einer gesamten Saison gelingt, dieses Verhältnis immer zu Gunsten der herausgespielten Torchancen zu schaffen, dann werden wir unter dem Strich auch mehr Spiele gewinnen als verlieren. Und somit einen guten Tabellenplatz zu erreichen.
Darüber hinaus ist es für mich wichtig, dass sich Spieler weiter entwickeln und zwar sowohl jeder einzelne Spieler für sich im Bereich Technik, Taktik, als auch in den Bereichen soziales Verhalten, zwischenmenschliches Verhalten in der Gruppe. Als Resultat ist es aus meiner Sicht für einen Trainer fast noch wichtiger, dass die Mannschaft als solches stärker ist als die Summe der Einzelspieler.

Abwehrverhalten mit dem Ziel Balleroberung

Es soll in diesem Beitrag zur Taktik nicht alleine um Grundordnungen gehen, sondern vor allem darum, dass eine andere Art von Abwehrverhalten dem Spiel zu Grunde liegt. Nämlich eine Art von Abwehrverhalten, die auf Balleroberung ausgerichtet ist und nicht zu sehr darauf, abzuwarten, was der Spieler am Ball macht. Wir haben für die Taktik, die wir im Fußball als Trainer trainieren können, zunächst einmal zwei verschiedene Spielsituationen, die für mich unabhängig voneinander zu sehen sind und für mich auch unabhängig voneinander zu trainieren sind. Zum einen die Situation “eigener Ballbesitz“ und zum zweiten die Situation “gegnerischer
Ballbesitz“. Bei der Situation “eigener Ballbesitz“ fiel mir schon als Spieler auf, dass in diesem Bereich sehr viele Trainer Korrekturhinweise und Trainingshinweise vornehmen. Wenn wir uns selbst beobachten, müssen wir zugeben, dass wir auch im Spiel sehr häufig kommentieren. “Wir müssen mehr über außen spielen..., wir müssen schauen, dass wir vielleicht auch mehr aus der Distanz schießen..., wir wollen versuchen den Gegner durch Doppelpasssituationen auszuspielen...“ Das sind alles Dinge, die sicherlich wichtig sind und die auch immer wieder trainiert werden sollten, aber sie hängen auch sehr stark von der Qualität unserer Spieler ab.

Die Situation Ballbesitz Gegner ist die Situation, die aus meiner Sicht oft zu kurz kommt. Für mich stellt sich seit langem die Frage, in welcher der beiden Situationen ich als Trainer mehr Einfluss nehmen kann, d.h. mich auch ein Stück weiter unabhängig machen von der Qualität meiner Spieler. Und in welcher der beiden Situationen bin ich als Trainer mehr von der Qualität der einzelnen Spieler abhängig. Bei eigenem Ballbesitz habe ich ein paar Punkte schon angesprochen. Wenn wir diese Dinge trainieren, geht es in erster Linie um Hinterlaufen, Doppelpass oder um die Spielverlagerung. Es geht um die sogenannten Steilpässe oder auch Lochpässe, wie sie manchmal genannt werden. Es geht auch um die Situation des Tempodribblings.

Zwei Varianten des Pressings

Die andere Situation, die hier in erster Linie angesprochen ist, ist die Situation Ballbesitz Gegner. Dort geht es um das Thema Pressing, dass wir spielen wollen. Es gibt in der Situation des Pressings zwei verschiedene Varianten, in denen wir spielen können: die defensivere Variante, das sogenannte Mittelfeldpressing, und die offensivere Variante, das sogenannte Forechecking oder Angriffspressing. Bei Mittelfeldpressing geht es in erster Linie darum, den Gegner in Richtung Seitenlinie zu pressen, aber beim Forechecking geht es nicht nur darum, ihn in Richtung Seitenlinie zu pressen, sondern eben auch noch zusätzlich in Richtung der Grundlinie des Gegners. Streng genommen gibt es natürlich noch eine defensivere Variante, nämlich die, bei der ich mich komplett in die eigene Hälfte zurückziehe und dann fünf, sogar erst zehn oder fünfzehn Meter hinter der Mittellinie damit beginne, den Gegner zu attackieren.

Wir wollen Pressing spielen, aber wie?

Wie wollen wir das anstellen? Es geht in erster Linie um zwei Dinge. Wir wollen versuchen, dem Gegner Raum wegzunehmen. Aber ich kann dem Gegner nur dann Raum wegnehmen, wenn ich mit dem gesamten Mannschaftsverband konsequent zum Ball hin verschiebe, verdichte, um Überzahl in Ballnähe zu schaffen. Wenn ich jedoch in Ballnähe Überzahl haben will, muss ich bei einem 11:11 irgendwo auf dem Spielfeld in Unterzahl sein und es ist natürlich am sinnvollsten, wenn ich die Unterzahl dort habe, wo die gegnerischen Spieler keinerlei Bedrohung für unser Tor darstellen. Dabei handelt es sich also um Spieler, die sich zum Zeitpunkt des Verdichtens, des Verschiebens fünfzig Meter weg von unserem eigenen Tor befinden und womöglich auch noch vierzig oder fünfzig Meter weg vom momentanen Standort des Balles sind. Denn die werden in
den nächsten drei bis fünf Sekunden nicht in das Spielgeschehen eingreifen, und wenn sie eingreifen, werden sie sicherlich zunächst einmal keine Torgefahr für uns darstellen.

Es geht um Raum und Zeit

Zusätzlich zum räumlichen Verdichten, das unter Umständen schon ausreichen kann, muss aber auch das Thema Zeit kommen. Wenn ich Pressing spielen möchte, den Gegner vielleicht aber erst in der eigenen Hälfte oder an der Mittellinie attackiere, dann wird das alleine nicht ausreichen, sondern dann muss ich gleichzeitig den Gegner auch zeitlich unter Druck setzen. Denn alleine vom Eingekreist- oder Umzingeltsein werden keine Fehler gemacht. Das heißt, dieses Thema Zeit ist dann auch wichtig, und Zeitdruck erzeuge ich dadurch, dass ich wirklich auch aggressiv attackiere, zum Ball hin. Mit aggressiv ist immer gemeint: ohne Foulspiel. Das Ziel dabei ist die schnelle Balleroberung, den Gegner zum unkontrollierten Abspiel bzw. zum Dribbling zu zwingen, um aus dieser Situation heraus dann eben den Ball zu erobern. Das sind die beiden Themen um die es geht: Raum und Zeit.


Fortsetzung folgt

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