1. April 2008

Frühling in Friedrichshain

Samstag früh dreiviertel 10 am Lasker-Sportplatz an der Persiusstraße in Friedrichshain. Auf der Hinfahrt überlegten Dicki und ich, ob der Architekt Persius Vorgänger oder Nachfolger von Schinkel war. Dicki erspähte auf dem Straßenschild, dass Persius bis 1902 gelebt hatte und schloss messerscharf, dass er Nachfolger von Schinkel gewesen sein muss. Wie dem auch sei, der Architekt hätte sich in seinem schönen Grab (in Bornstedt) umgedreht, wenn er diese Gegend zwischen (R)Ostkreuz und Warschauer Brücke und Ruin und Wiederaufbau gesehen hätte. Aber zum Glück kann der alte Persius in Ruhe liegen bleiben, denn die Straße ist nicht nach ihm, sondern nach seinem Sohn, einem konservativen Juristen benannt und dem kann es egal sein, wie es dort aussieht und wie wir gespielt haben.

Es war zugig und kalt auf dem neuen Lasker-Sportplatz. Wir waren vollzählig und unter dem Zeltling standen einige Typen, die den umgebenden Plattenbauten entsprungen schienen und nicht wie Bezirksligafußballer einer der anspruchsvollsten Ligen der Stadt aussahen. Es war auch nicht ersichtlich, für wen der Würstchenbudenbetreiber seinen Ausschank geöffnet hatte und einen Wurstbräter in Betrieb nahm. Dicki war in der Kabine des Platzwartes verschwunden und wir froren.

Nach endlosen Minuten kam Dicki heraus und sagte: „Wir haben ein Problem: Das Spiel ist nicht angemeldet!“. Da kam Bewegung in die Gruppe unter dem Zeltling, die Max mit Sicherheit als Inkarnation des Prekariats bezeichnet hätte. „Wat – nich anjemeldet, det kann gar nich sein! Ick hab doch gestern Ahmt noch Bescheid hesacht!“ ereiferte sich der glatzköpfige 120-Kilo-Hühne mit dem langen Ledermantel und der Onassis-Sonnenbrille und stürmte in die Kabine des Platzwartes. „Schade, dass John nicht hier ist“ sagte ich zu Manni „-oder besser Boxer-Frank!“ entgegnete er. Wie dem auch sei, Schädel hatte den Platzwart in kürzester Zeit überzeugt und wir bekamen den Schlüssel zu Kabine acht. Es war nicht die letzte gute Tat von Schädel an diesem Vormittag – obwohl er nach dem Spiel erklärte, nie wieder für die SG Weberwiese spielen zu wollen.

Kabine acht war bestimmt die beste, die wir in dieser Saison hatten. Alles neu, prima blaues Linoleum, viel Platz. Nur Stephan mäkelte, dass ihm ein blau gemuscheltes Linoleum nicht gefällt. Doch dank eines Blutbades und einer anderen Verletzung sollte auch dieser Schönheitsfehler behoben werden.

Vor dem Spiel verteilte Dicki die Rollen. Unser Kader bestand diesmal hauptsächlich aus Stammspielern der letzten Saison, ergänzt um Andi H. und Toddel und mit Marco im Tor. Toddel wusste genau, warum er mitspielen sollte: „Ihr wollt endlich mal gewinnen“ sagte er. „Ja, nach sechseinhalb Monaten wird es Zeit“ antwortete der stets gut vorbereitete Marco.

Dicki und ich hatten Toddel vor dem Spiel eingestimmt: „Das Spiel dauert auch für Dich 60 Minuten und wir wollen es ohne rote Karte beenden“ und „“Auf das Tor schießen, heißt nicht, dass der Ball von oben auf das Tor fällt, sondern, dass er von vorne in das Tor, d.h. unter die Latte, fliegt“ schärften wir ihm ein.

Vor dem Anpfiff sagte Schädel – nun in Torwartkluft – zu mir, ich solle nicht so viel herumspringen, denn das Spiel habe noch nicht begonnen.

Es gibt Spieler, die trinken nach dem Spiel Bier und rauchen Zigaretten und haben dementsprechend gespielt. Aber es gibt auch welche, die nach dem Spiel Bier trinken und Zigaretten rauchen und bei denen man sich fragt – „wie geht das?“. So einer war der Zehner von Weberwiese. Er hat in der vergangenen Saison 50 Tore geschossen und im Hinspiel gegen uns drei oder vier. Ich vermute, es liegt an den Beinen. Der Typ war so groß wir Dicki, aber die Beine waren bestimmt 10 cm länger und beide schön nach außen gebogen. Diesen Spieler auszuschalten war der Schlüssel für unseren Sieg und die Aufgabe für Andi H.

Weberwiese legte los wie die Feuerwehr und der Zehner ließ Andi H. im ersten Laufduell stehen. Da war klar, dass Andi mehr tun muss und nicht wie ein Irrwisch mit oder ohne Ball über den Platz jagen konnte, sondern einen Gegner auszuschalten hatte. Der Zehner hatte anschließend jedenfalls nicht mehr viel Freude an dem Spiel und ich weiß nicht, ob er sich mehr über Andi, der ihm (fast) keine Entfaltungsmöglichkeit mehr ließ, oder über seinen Torwart geärgert hat.

Aber auch wir hatten in den ersten Minuten einige gute Szenen und Stephan und Toddel hatten sogar das Führungstor auf den Füßen.

Doch nach etwa zehn Minuten schmeißt sich der Zehner nach einem Zweikampf mit Dicki auf den Boden und der Schieri gibt Elfmeter. Der Schuss war hart, aber nicht sehr gut platziert und Marco fliegt genau zum richtigen Zeitpunkt in die richtige Ecke – Schock für Weberwiese. Kurz darauf Schock für mich. Ein stechender Schmerz in der Wade. Kein Gegner war in der Nähe – ob aus den Plattenbauten oder aus dem Zeltling jemand mit dem Luftgewehr auf mich geschossen hat? - „Dann müsstest Du einen kleinen roten Fleck haben“ meint Schussexperte Toddel.

Ein kurzes Spiel für mich. Mit meiner Leistung war ich ganz zufrieden – mein einziger Fehler war, dass ich einmal Hartmut in der ersten Halbzeit und vormittags den Ball in den Lauf spielen wollte, statt an seinen Standort.

Was ist eigentlich das zweitberühmteste Tor in der Fussballgeschichte? Das berühmteste „Tor“ ist natürlich das Wembley-Tor – aber welches kommt danach? Das Gerd-Müller-Tor? das van-Basten-Tor? das Cruyff-Tor? das Netzer-Tor? Nein – es könnte ein Pelé-Tor sein oder ein Uwe-Seeler-Tor. Aber welches? Na gut, dann eben das Lothar-Emmerich-Tor – das kennt zumindest in Deutschland jeder. Und eben so eins schoss der 10er von Weberwiese - 200km/h von der Torauslinie hoch ins kurze Eck – keine Chance für Andi H. und Marco.

Kurze Zeit später gab der Schieri einen Elfmeter für uns – aber unser 10er schoss nicht viel besser als der lang-o-beinige von Weberwiese.

„Nur nicht aufgeben“ hoffte ich an der Seitenlinie.

Das Spiel ging hin und her. Wir hielten uns tapfer, Andi H. nahm der 10er aus dem Spiel und auch sonst ließen wir in der Abwehr nichts anbrennen. Gelegentlich im Spielaufbau etwas lethargisch – aber dennoch setzten wir Weberwiese unter Druck und Schädel zeigte Schwächen. Ganz stark eine Szene 10 Minuten vor der Pause, als er mitten im Spiel neben sein Tor ging, um einen Kumpel zu umarmen. Nach lautem Zuruf eilte er ins Tor zurück und konnte einen Fernschuss abwehren. „Watt wollt ihr denn – ick halte doch allet“ brüllte er seine maulenden Mitspieler an.

Kurze Zeit später segelte eine von Manni präzis geschlagene Ecke über seinen Schädel auf Andi H. seinen, der seine starke Leistung mit einem sauberen Kopfballtor krönte.

Zur Pause stand es 1:1 und der Gegner war schon reichlich gefrustet – da war was drin.

Nachdem Hartmut sich in der zweiten Halbzeit auch physisch am Aufbauspiel beteiligte erspielten wir uns eine leichte Überlegenheit. Marco hielt mal wieder alles, was zu halten war. Ansonsten spielte keiner überragend, aber wir waren effektiv und ohne große Fehler. Was war Otto Rehakles` Erfolgsrezept? „Früher spielte jeder, wie er will – jetzt spielt jeder, was er kann“. Es gab heute keine Kamikaze-Vorstöße von Andreas Henkel, Manni oder Dicki und wir waren in der Abwehr nur ein einziges Mal in der Unterzahl. Stephan blieb immer in der Offensive und war immer vorn anspielbar. Und Toddel ackerte, suchte die Zweikämpfe und gewann etliche und – keine Fehlschüsse!!! Was uns im Offensivspiel nicht gut gelang, war, den nachrückenden Mittelfeldspieler mit einzubinden, weshalb wir in der zweiten Hälfte trotz Überlegenheit nur wenig klare Chancen rausspielten. Aber 10 Minuten vor Schluss fügte sich alles zum Guten: Toddel holte zu einem Gewaltschuss aus, erinnerte sich an die Worte von Dicki und mir und konnte den Schuss im letzten Moment in eine Flanke umwandeln. Zehn Meter nach innen in den Strafraum und fünfzehn Meter hoch. Die lange Zeit, die der Ball in der Luft war, nutzte Stephan an besten: Er sprang hoch und köpfte den Ball über den herausstürmenden Torwart ins Netz. Doch bevor er landete, krachten der Torwart und ein heran fliegender Verteidiger an den Schädel von Stefan.. Stephan blieb benommen liegen und sah den Rest des Spiels nur noch schwarz-weiß. Zwei Verletzte, aber die glorreichen Sieben hielten durch und nach einer schillermäßigen Glanzparade von Marco gegen den 10er hatte Toddel tatsächlich unseren ersten Sieg nach sechseinhalb Monaten (mit)bewirkt.

Das Blutbad in der Kabine? Wir wissen ja alle, dass nach dem Spiel ein Knie von Dicki blutet. Diesmal waren aber Stutzen, Schienbeinschoner und Socken blutgetränkt und das Blut lief unter der Dusche wie bei Psycho weiter und nach dem Duschen hinterließ Dicki rote Fußspuren in der Kabine. Erst ein steriler Druckverband konnte die Blutung stillen. Kabine Acht hat nun einen rot-blauen Linoleum-Fußboden, der Stephan bestimmt gefallen hätte, wenn er wieder in Farbe hätte sehen können.

Hans (Sch.)

2 Kommentare:

Eljay hat gesagt…

Köstlich, lieber Hans. Ich schlage vor, du kurierst deine Zerrung richtig aus und schreibst bis dahin alle Spielberichte.

Dicki hat gesagt…

Na ja, Frühlingsgefühle hatte ich auf dem windumtobten Gelände nicht. Die Typen, ja man kann sagen Originale dort, die Gegend -an alte Schimanski-Krimis erinnernd-, hast Du erneut treffend beschrieben. Zille hätte seine Freude gehabt. Am Bericht und an diesem Kiez.
Garanten des Sieges waren mit Abstand Marco und Andi Hä. Das hatte der Zehner noch nicht erlebt: Jeden seiner Schüsse pflückte Marco weg, "hielt" den Neunmeter, und um dem allen die Krone aufzusetzen, hatte er ständig Andi auf dem Fuß. Stark diesmal auch Manni, der nicht den Overath gab, sondern sich auf seine Kernaufgaben konzentrierte. Toddel eine Überraschung: Sichere Ballan- und Mitnahme, durch seine körperliche Robustheit gut in der Ballbehauptung. Ja gut, in den letzten Minuten muss man nicht mehr Risikobälle spielen, aber ein Sicherheitsfußballer wird er ohnehin nicht mehr.

Ein holperiges Spiel, die letzten Beiden fand ich besser. Aber gewonnen. Deshalb wird es sich bei den Sturzbächen von Blut eher um eine Art Marienerscheinung gehandelt haben, ähnlich der, der Jungfrau von Lourdes.