Ein laue Frühlingsnacht Ende April. Das BSC-Casino liegt in tiefer Dunkelheit, ein paar Vögel zwitschern, ansonsten herrscht tiefe Stille. Nur im Casino ist noch Leben, es ist Sonntagnacht, und wir blenden uns ein in eine Szene hinter dem Eingangsbereich, dort, wo üblicherweise die Gäste sitzen.
Die Tische waren mit weißen Decken überzogen, die Flammen der Kerzen auf den Tisch flackerten, das leise Geklapper des Geschirrs durchzog das Gesprächswirrwarr der Gäste. In der Ferne schlug die Glocke eines Kirchturms dumpf zwölfmal, als ein jüngerer Mann mit Bauchansatz und randloser Brille aufstand, mit seiner Dessertgabel an ein Sektglas klopfte und dann wartete, bis das Gemurmel erstarb und alle Anwesenden gespannt auf ihn blickten. „Ja, meine Damen und Herren“, sagte Frank Niedenhoff dann feierlich, „ich begrüße Euch alle zu diesem Mitternachtsbüffett. Ich freue mich besonders, dass es in der kurzen Zeit gelungen ist, diese festliche Tafel zu organisieren. Vielen Dank deshalb an Carsten, unseren Gastgeber.“ Niedenhoff drehte seinen Oberkörper und prostete Carsten Duckwitz zu. Carsten nickte bloß kurz und lehnte sich dann weiter gegen seinen Tresen. „Ja, liebe Spieler der 2. Elfer Alt Ü 40, liebe Spielergattinnen, eigentlich müsste ich ja sagen, liebe Helden. Liebe Heroen, ja, ich scheue mich nicht, das Wort Giganten in den Mund zu nehmen. Denn das seid ihr, Helden, ruhmreiche Vertreter des BSC. Wer 8:1 gewinnt, wer einen Sieg einfährt, der für die großen Schlagzeilen taugt, für die ganz großen, der verdient eine angemessene Bezeichnung.“
Niedenhoff ließ die Worte wirken. Die Helden lächelten souverän, ihre Gattinnen platzten fast vor Stolz.
Dann redete er weiter: „Als mich ein Redakteur des „Kicker“ anrief und mitteilte, ein Verrückter belästige ihn jetzt seit einer Stunde, da wusste ich ehrlich gesagt, nicht sofort, was denn nun Sache war. Erst im Verlauf des Gesprächs, als die Worte Peter Richter, 8:1, BSC und phantastische Leistung fielen, verbunden allerdings, das möchte ich nicht verschweigen, mit so Worten wie „durchgeknallt“, „völlig bescheuert“, „Idiot“ und noch die eine oder andere Beschimpfung, wurde mir klar, was der Mann wollte. Peter Richter hatte den „Kicker“ angerufen, die Außenredaktion Berlin, und einen großen Bericht über die sagenhafte Vorstellung des BSC in der nächsten Ausgabe verlangt. Aber nicht neben einem Text von Hertha BSC, mit Verlierern wolle man nichts zu tun haben. Peter war wohl etwas hartnäckig, jedenfalls gelang es ihm, den Redakteur so sehr zur Weißglut zu treiben, dass der sich bei mir über einen Torwart beschwerte, der die Zeitungen lahm legen wolle. Ich habe auf das restliche Gewäsch natürlich nicht gehört, für mich blieben die zentralen Sätze hängen: Der BSC hatte 8:1 gegen Friedenau gewonnen. Mein BSC! Jene Mannschaft, der ich das, nun ja, nicht unbedingt zugetraut habe. Dieses Ergebnis nicht, und, wenn ich ehrlich bin, nicht einmal einen Sieg. Aber da war natürlich klar, dass dieser Triumph, dieser historische Sieg, natürlich entsprechend gefeiert werden musste.
Ich bin Carsten deshalb dankbar, dass er auf die Schnelle dieses Mitternachtsbüffett auf die Reihe stellen konnte. Was man in der Champions League kann, können wir schon lange. Die Einladungen habe ich übernommen. Und ich muss sagen, es ist wunderschön, hier vor Euch zu stehen. 8:1, dass ich so etwas noch erleben darf.“
Niedenhoff unterbrach sich, weil ihn die Rührung übermannt hatte. Verstohlen rieb er eine Träne aus dem linken Augenwinkel. Verlegen zupfte er an seiner bordeauxroten Krawatte.
Ein Ruck, dann blickte er wieder zu den Gesichtern hinter den Kerzenflammen. „Ich möchte diese Rede nicht ausufern lassen, aber auf ein paar Details muss ich einfach eingehen. John“, sagte er und drehte sich zu John, der mit seinen roten Bäckchen aussah wie ein rosig glänzender Posaunenengel. „Was Du heute geleistet hast, unglaublich. Wie viele Tore?“ – „Vier“, schallte es aus der Tiefe des Raums. Niedenhoff nickte ergriffen. „Vier Tore hat John geschossen. Eines nachdrücklicher als das andere. Beim ersten, habe ich mir sagen lassen, hast Du Dich so schnell um die eigene Achse gedreht, daß unser junger Eiskunstlauf-Experte“, er nickte einem bescheiden dasitzenden schwäbischen Verteidiger zu, „automatisch an die Bielmann-Pirouetten erinnert wurde. Dann noch ein Tor, ein Flugkopfball vom Feinsten.“ - „Du darfst mich Feder nennen“, brüllte John. Niedenhoff lächelte. „Gemach, ich komme gleich darauf zurück. Also, John traf mit einem Flugkopfball, der unglaublich war. Ästhetisch absolut phantastisch. Und jetzt, mein lieber John, kommt die Überraschung. Du wirst reichlich belohnt für dieses Tor. Carsten verzichtet darauf, die 18 Weizengläser zu berechnen, die bei Deiner Landung aus dem Schrank gefallen sind und in Scherben auf dem Boden lagen. Maria hatte sie klaglos zusammengefegt. Die Fußballabteilung übernimmt auch die Kosten der Tiefbauarbeiten auf dem Rasen. Macht Euch keine Sorgen, bis zum nächsten Heimspiel ist der Krater wieder gefüllt. Dass die Friedenauer sich beklagten, sie könnten mit dem Loch vor ihrem Strafraum nicht mehr spielen, war natürlich mehr als kleinkariert. Das größere Problem hattet ja ihr. Ihr musstet ja in diesem Strafraum noch Tore schießen. Aber John, aus Anlass Deiner vier Tore werde ich Dich jetzt mit dem Ehrenzeichen der BSC-Fußballabteilung auszeichnen.“ Niedenhoff griff unter den Tisch, holte eine dunkelrot verpackte, rechteckige Schachtel hervor, zog den Inhalt heraus und sagte feierlich: „Bitte John, komm vor.“ Die Gläser klirrten leise, als John nach vorne stampfte. Dann drückte er die Brust durch und sah Frank Niedenhoff erwartungsvoll an.“ Der heftete ihm eine alte Matratzenfeder an den blauen Anzug, schüttete ihm ein wenig Sekt über den Kopf und sagte: „Mit diesem feierlichen Ritual ernenne ich Dich jetzt zur „Sprungfeder des Jahres.“ Gerührt stampfte John zurück. Hinter dem Tresen hielt Maria zwei Weizengläser fest, die schon bedrohlich aus dem Schrank zu kippen drohten.
Dann hob Frank Niedenhoff wieder das Glas, prostete diesmal Manni zu und sagte: „Und Du, lieber Manni, hast mal wieder durch enormen Einsatz geglänzt. Mit deinem guten Auge hast Du den Torhüter zweimal überlistet, Du bist gerannt und hast geflucht, Du hast souverän weggesteckt, dass wie üblich niemand auf Dich gehört hat. Bravo, Gratulation.“ Die Menge klatschte. John trampelte zudem mit den Füßen, hinter dem Tresen ertönte das Geräusch von zersplittertem Glas. „Alle Gläser gleichzeitig kann ich nicht halten“, brummte Maria.
Dann prostete Niedenhoff auch Carsten zu. „Du, mein lieber Carsten, hast gleich nach Wiederanpfiff ein Tor geschossen. Du bist durch die gegnerischen Verteidiger geschlängelt wie Maria Riesch durch die Slalomstangen“ – an dritten Tisch bekam Klaus Schmid glänzende Augen - „und hast mit Deinem knallharten Schuss dem Torwart keine Chance gelassen. Wen es nach Johns Flugkopfball gewesen wäre, hätte man sagen können: Scherben bringen Glück. Hahaha, Späßchen gemacht. Aber, wirklich, Carsten, super.“
Dann hob Niedenhoff feierlich sein Sektglas, reckte es in die Luft und erklärte mit vorgestrecktem Kinn: „Und so wollen wir, wie weiland Franz Beckenbauer, auf die Uwe-Seeler-Gedächtnismannschaft trinken.“ Warmer Applaus folgte seinen Worten, John wippte zusätzlich gerührt mit den Füßen. Dann tranken alle behaglich auf die Helden. Im Hintergrund griff Maria wieder nach dem Besen.
Frank B.
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4 Kommentare:
Danke Frank. Gleich morgen überweise ich den Beitrag für die Mannschaftskasse. Ich will wieder dazu gehören!
Es ist ein schöner Trost, wenn man morgens um 6 nach einem verletzungsbedingt verpassten Hauptsache Großfeldspiel so etwas Amüsantes zu lesen bekommt.
Klaus
Sensationell.
Was eine Mannschaftssitzung so alles bewirken kann! Gratulation, auch zum grandiosen Spiel am Mittwoch.
Jetzt müssten die Massen in die Elfer strömen. Eljay hat den Anfang gemacht.
Weiter so!
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