Vor einigen Jahren nahm mich ein Freund mit, zu einem Treffen der Deutschen Werbewirtschaft. „Was soll ich da?“ hatte ich ihn erst gefragt, die Antwort „…umsonst essen und trinken, dazu schöne Frauen…“ hatte mich dann aber doch überzeugt. In den ersten drei Reihen vorne, saßen Altersgenossen, erkennbar als Grauwölfe, scheinbar Chefs. Dahinter war keiner über 35, eher weit darunter. Wir hatten uns in den Mittelteil gesetzt, schon um schnell an das Buffet zu kommen. Ich stellte fest, dass der Frauenanteil noch höher als in der Berliner Verwaltung ist, allerdings mit nicht kongruentem Optikfaktor.
Beim einchecken hatte ich auf die Frage „Welche Agentur?“ „BSCDREAMTEAM“ angegeben, was kurzzeitig zu einer Suche in der Liste führte, die dann aber nach einem kurzen Blick auf unsere überwiegende Haarfarbe eingestellt wurde.
Flankiert von Sonja-Kraus-B-Versions-Hostessen erreichten wir unsere Plätze, hinter uns keiner über 25. Generation Praktikum eben. Die Veranstaltung begann: Dr. Bla-Bla-Bla von einer süddeutschen Uni, von einem Studienfach von dem ich noch nie gehört hatte, erklärte uns die Welt. Genauer gesagt, die Spezialitäten einer gesellschaftlichen Randgruppe, die nicht so will wie der Rest.
Es ging um die wirtschaftliche Bedeutung der über 45jährigen, der Best-Agers. Mit Hilfe von Power Point wurde die dramatische demografische Entwicklung, die bedenkliche Situation des Bruttoinlandsproduktes seit den Siebzigern, der Anteil am Konsum der Best-Agers („gar nicht gut, gar nicht gut, da ist noch Luft drin!“) dargestellt. Als es um diese Altersgruppe im Besonderen ging, hatte man, na jedenfalls ich, den Eindruck, es handele sich um eine kriminelle Vereinigung. „Sind in ihren Konsumentscheidungen verfestigt…Markenentscheidungen werden auf Grund weit zurückliegender Erfahrungen oder Klischees getroffen…grundlegende Änderungen im Konsumverhalten werden nur noch nach traumatischen Erfahrungen, etwa Tod eines Angehörigen, schwere Krankheit oder Trennungserlebnissen aber auch neue Partner vollzogen…eine schwierige Konsumentenschicht, aber sie haben Geld! Und da müssen Sie ran!“.
Jetzt begann der aufgelockerte 2.Teil: Sie hatten ein Filmchen zusammengestellt: „Die Leute die wir erreichen müssen, haben diese Musik gehört, und diese Leute, diese Zeit gekannt-und geliebt!“ Wir sahen Twiggy mit dem Mini, die Beatles auf dem Abbey Road Dach, Hippies mit dem Schlafsack in Woodstock, Rudi Dutschke auf dem Kudamm und die Wasserwerfer. Als eine Einspielung von Bob Dylan kam (Newport 1966?) fühlte sich der Moderator nach breitem Gelächter in der Pflicht: „Lachen Sie nicht, aber dieser Mann spielt nicht in einer U-Bahn-Zuführung! Er ist der einflussreichste Musiker dieser Zeit!“ Als Willy Brandt eingeblendet wurde: “Bundeskanzler, hat Deutschland nach dem Osten geöffnet, was wirtschaflich ungemein wichtig war!“ Hätten wir das gewusst, als wir damals nächtelang Flugblattentwürfe diskutierten. Wie einfach alles sein kann, wenn man Profis ran lässt. Dann noch ein bisschen die 80er, Wackersdorfer Wasserwerfer, strickende Abgeordnete, DIE GRÜNEN, Punk, Popper.
Als der Film zu Ende ist, erlöscht das Licht, ein Spot geht an und verfolgt den Moderator. Kommt jetzt der Stargast? Howard Carpendale oder Gerhard Schröder?
Er lässt sich von der Sonja-Kraus-A-Versions-Hostess ein olivgrünes Kleidungsstück geben, dreht sich um, schreitet mit ihm bedeutungsvoll über die Bühne, hält es dem Auditorium vor die Augen. „Das ist ein so genannter P A R K A! Den hat in jener Zeit fast jeder einmal irgendwann getragen! Wir haben in Saal B einen Stand eingerichtet, an dem Sie den mal anprobieren können. Es sind alle Größen vorhanden!“ Wir sahen ihn auf unserer Suche nach dem Bierstand eher durch Zufall. Sponsor BERLINER PILSNER hatte sich direkt daneben platziert. Jetzt kam ein Chefverkäufer von DAIMLER. Als Beispiel wurde der Verkauf eines SLK Modells genommen: „Meine Damen und Herren, Sie verkaufen Emotionen, keine Ware aus Stahlblech! Emotion, Emotion, Emotion!“ hämmerte er in den Saal. So ging es wahrscheinlich auch bei den Zeugen Jehovas, Scientology und bei Walmart zu.
Ich wurde nach der Mannschaftssitzung an diese denkwürdige Veranstaltung erinnert.
Zunächst war ich ratlos. Sollte man nicht die bis dato zu Buche stehenden Daten als Grundlage nehmen? Das wären 71 verlorene Spiele, 85 erzielte Tore, 367 erhaltene, 20 Punkte, Tabellenstände Letzter, Letzter, Letzter, z.Zt. Letzter in den vergangenen vier Jahren.
Ich dachte an Mr. DAIMLER: Es geht eben nicht um Common Rail Technik, ASP, ESP, AMG Speedshift 7G-tronic, sondern um die Emotion. Es geht nicht um den Kampf der Gladiatoren im Hubi-Colosseum, bei dem die Summe der erhaltenen und geschossenen Tore Neros Daumen hoch, Daumen runter symbolisiert.
Jetzt verstand ich: Es geht in den neunzig Minuten um ein wohliges Eintauchen in Erinnerungswelten innerhalb einer, Klaus hat das professionell analysiert, „menschlich intakten Gruppe“. Die Abifeier in der Turnhalle, die ersten Töppen, der erste Kuss, die CLEARASIL-Flasche im ALLIBERTt, die Mannschaftsfahrten, die erste Led Zeppelin-Platte, die alten Mannschaftsbilder, die in Alben verewigten Urkunden, die man seit Jahren vor dem Altpapiercontainer rettet.
Statt an den Praktikantinnen-Stehtisch kontinuierlich die Lachsschrippen und das BERLINER ranzukarren, hätte ich wohl besser auch noch mal den P A R K A übergezogen. Too Old to Rock`n and Roll: Too Young to die - oder wie ging das?
Dicki 22/04/2010 (nach wahren Erlebnissen von Matthias)
2 Kommentare:
Großartig Dicki. Um Deinen Emotionen freien Lauf zu lassen, lade ich Dich am Sonntag, 12.15 Uhr auf den Hubi ein. Punktspiel gegen Friedenau. Gegen die haben wir in der Hinrunde gewonnen. Hat bei unserer derzeitigen sportlichen Verfassung aber nichts zu bedeuten. Sporttasche nicht vergessen.
Rückfahrt vom Segelwochenende an der Ostsee. Ich zu Stephan: "Das Schlimmste was jetzt passieren kann ist ein Sieg gegen Friedenau!"
Ich weiß, ich mache mich langsam aber sicher zur persona non grata, aber ich will jetzt umgehend einen Spielbericht von dir, Pete.
Und Dicki wechselt bitte ganz schnell in die Feuilleton-Redaktion von Franks Käseblatt, damit da endlich mal Niveau reinkommt.
Mast- und Schotbruch!
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