Stimmengewirr beherrscht die Szenerie, 21 Mann drängen sich auf engem Raum. Hansi hat sich bereits murrend in den Waschraum verzogen, um sich einzucremen. Irgendwo steht Boris mit dem Spielberichtsbogen in der Hand. Er wirkt einigermáßen verzweifelt. „Seid mal kurz ruhig, Leute“ schreit er fast flehentlich. „Ich habe hier ein paar Namen, die kenne ich gar nicht. Wer hat denn jetzt welche Nummer?“ Er blickt kurz auf seine Liste. „Hier, äh, Werner Kurzinger. Wer is’n das?“ Ein schlaksiger Mann mit blonden, leicht verwuschelten Haaren, brummt: „Ich bin das.“ Klaus Schmid, der sich in einer Ecke hartnäckig einen Sitzplatz erkämpft hat, schaut sich um. „Und wie kommst Du zu uns?“ Der Blonde dreht sich um. „Ich bin der Bruder vom Schwager von Bernd Grimm. Ich soll unbedingt kommen, hat’s geheißen. Ich spiele aber nur, wenn die Sonne scheint, das sage ich gleich. Bei nassem Wetter kriege ich schnell Schnupfen.“ Boris hakte den Namen auf dem Bogen ab. „Du bekommst die Nummer 48“, sagt er. Vor der Saison hatte der BSC zur Sicherheit zehn zusätzliche Trikots mit neuen Nummern bestellt, gegen den erbitterten Widerstand des Kassenwarts, der bereits im „Humana“-Shop in Steglitz gelbe Second-Hand-Trikots mit Nummern entdeckt hatte. Den Schriftzug TSV Mahlsdorf hätte er gerne überklebt. Aber Boris lehnte diese Lösung ab. Weil sich beide Seiten nicht einigen konnten, warfen sie die Münze. Der Rest ist kostspielige Geschichte.

Boris wird es jetzt zu dumm. „He, hört mal alle her, jetzt, Ruhe, Ruhe alle mal“, brüllt er. „Ich sag doch gar nichts“, brüllt Hansi aus dem Waschraum zurück. Boris sucht krampfhaft etwas Wichtiges an der Kabinendecke. „Also“, brüllt er dann wieder, „alle Neuen stellen sich jetzt vor, dann geht es schneller, dann verteile ich die Nummern, ok?“. Unverständliches Gemurmel antwortet ihm. Nach vier Minuten haben sich alle Anwesenden darauf geeinigt, dass sich die Neuen im Uhrzeigersinn vorstellen.
Ein kleinerer, stämmiger Mann mit beeindruckenden Oberschenkeln beginnt: „Ich bin der Bruno, ich bin ein Kollege vom Volkmar, ich war mal in meiner Jugend Gewichtheber, ich möchte gerne im Sturm spielen. Ihr braucht doch einen Knipser, hat Volkmar gesagt.“ Boris gibt ihm die Nummer 45.
Ein hoch gewachsener Mann mit Halbglatze und Hornbrille macht weiter. „Ich bin Dr. Ralf Hübner, Professor für Mathematik an der TU Berlin, aber meine Freunde nennen mich bloß Einstein. Könnt ihr auch machen“, sagt er, während er seine Brille abnimmt und umständlich mit einem Zipfel seines Hemds putzt. Dann hält er sie gegens Licht und drückt sie wieder auf seine Nase. „Ich habe bisher in der Unimannschaft der TU gespielt, ich war dort für die Analyse der Spielzüge zuständig, habe da ein gutes Programm entwickelt. Jetzt möchte ich selber mal spielen. Ich kenne den Volker Dubiel, und der hat mir gesagt, dass seine Mannschaft neue Leute braucht, und dass die für Einsteiger und Anfänger ein gutes Pflaster ist.“ Er beendet seinen Vortrag mit einem lateinischen Zitat und schiebt ein kurzes, hartes Lachen nach. Die anderen verstehen kein Wort, aber sie erkennen, dass es wohl ein Witz war. Boris gibt ihm die 32 und ernennt ihn zum Pausenclown.
Die Vorstellung geht weiter, noch 26 Minuten bis zum Anpfiff. Ein breitschultriger Mann mit Bauchansatz: „Ich bin Lukas, der Neffe von Ebi, der hat mir gesagt, dass ich mal vorbeischauen soll.“ Nummer 57. Ein schwarzhaariger Mann mit sanften Gesichtszügen und goldenen Fußballschuhen: „Ich bin Christian, früherer Klassenkamerad von Bernd Grimm. Er hat mich mal bei einer schweren Mathe-Klassenarbeit mal abschreiben lassen. Er hat noch was gut bei mir. Habe ihn zufällig mal im Volkspark Wilmersdorf getroffen, er hat mich gebeten, die Mannschaft zu verstärken. Ich kann ganz gut Frisbee spielen. Hilft Euch das?“ Boris drückt ihm wortlos die 28 in die Hände.
Ein Mann mit grauem Haaransatz drängt sich durch die Tür. „Noch einer“, brummt Peter Richter. „Und wer bist Du?“ „Ich bin der Schiedsrichter“, antwortet der Grauhaarige. „Wer von Euch gibt mir mein Geld?“ Der Kassenwart zwängt sich durch die Menge und verschwindet in der Schiedsrichterkabine. Um seinen freigewordenen Sitzplatz gibt es sofort einen wortlosen, aber erbitterten Kampf zwischen Bruno und Albrecht. Die Vorstellung geht weiter. Ein Glatzkopf verkündet: „Ich bin Horst, der Elternvertreter an der Schule von Bernd Grimm. Der Bernd hat mir die nötigen Stimmen verschafft, dass ich gewählt wurde. Jetzt gebe ich ihm etwas zurück.“ Nummer 66. Ein kleinerer Mann mit Bauchansatz, kaum 40 Jahre alt, verbeugt sich, dreht sich ein paar Grad, verbeugt sich wieder und sagt dann: „Ich bin der Präsident des Vereins „Berliner helfen Pakistans Flutopfer“ und danke Euch allen für diese wirklich großartige Spende. Der Kassenwart hat mir aus der BSC-Mannschaftskasse 300 Euro übergeben, ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr die Menschen dort das Geld brauchen. Ich habe natürlich sofort zugesagt, als mich der Kassenwart gebeten hat, bei Euch einzusteigen.“ Er drückt eine versteckte Träne aus dem Augenwinkel. Boris reißt dem Kassenwart sofort das Trikot aus der Hand.
Ein Mann mit schwarzem Schnauzbart streicht über seinen mächtigen Bierbauch und schnurrt: „Ich bin der Thomas, ich habe John mal die Vorfahrt genommen und sein Auto angefahren. Wir haben die Sache dann ohne Polizei geregelt, das fand ich fair. Hatte nämlich ganz schön einen gebechert. Klar, dass ich Euch helfe. John hat mich beim „Fasten für Afghanistan“ angesprochen. Voila, hier bin ich.“ Boris übergibt ihm das Trikot mit der Nummer zwei.
19 Minuten vor Spielbeginn hat sich jeder vorgestellt, nun beginnt die Auslosung, wer auf dem Spielberichtsbogen wirklich auftaucht und spielen darf. Heftige Diskussionen entbrennen, die bald in wilde Wortgefechte ausufern. Dr. Ralf Hübner fordert vehement seinen Einsatz, verliert argumentativ aber entscheidend an Bedeutung, weil er in seiner Erregung irgendwann ins Lateinische überwechselt.
Ebis Neffe droht damit, sein Trikot himmelblau anzumalen,
wenn er nicht spielen dürfe. Bruno kreischt, seine ganze Familie habe sich am Platz versammelt, um ihn anzufeuern, es sei undenkbar, dass er jetzt nicht spiele. Hansi cremt inzwischen seine Oberarme ein.
Die Lage ist vollkommen unübersichtlich, also schreibt Boris einfach die Namen auf, die ihm gerade einfallen. Tödliche Blicke der Ausgeschlossenen treffen ihn. Alle, die nicht berücksichtigt worden sind, erklären sofort ihren Rücktritt. Hansi, den Boris in der Hektik ebenfalls übersehen hat, schließt sich der Gegenbewegung sofort an. Der Kassenwart wird von einem spontanen Feldgericht, bestehend aus den Juristen Boris, Peter Richter und Volkmar, kurzerhand aus dem Verein geworfen und zu Schadensersatz verurteilt.
Nach der ersten Halbzeit liegt der BSC 0:6 in Rückstand. Sechs der Neuen erklären in der Pause aus konditionellen Gründen das sofortige Ende ihrer BSC-Karriere. In Unterzahl wehrt sich der BSC erbittert und kann mit hartem Einsatz einen höhere Niederlage als ein 0:13 verhindern.
Als Termin der nächsten Mannschaftssitzung wurde der 8. September festgelegt. Einziger Tagesordnungspunkt: Rekrutierung neuer Spieler. Inoffiziell wird Peter Richter mit dem teuren Modell einer Segelyacht und einem klaren Auftrag zu Stephan Benz geschickt.
Frank B.
3 Kommentare:
Bernd Gr. … so kennen wir ihn, so lieben wir ihn … immer hyperaktiv bei der Beschaffung neuer Spieler. Bei der Ü50-2 tauchten auch fünf neue Sportskameraden auf:
Anton V., Großcousin von Bernds Gemüsehändler, bisherige Sportart Synchronschwimmen,
William S., Bruder des Schwagers seiner Ex-Frau, Konditor, bislang kein Sport, möchte aber seine 200 kg Körpergewicht reduzieren,
Johann B., Vize-Gesamtelternvertreter an Bernds Schule, Verbindung zum Fußball: hat mal Bratwürste am Olympiastadion verkauft,
Friedrich S., bisher Lattenputzer beim 1. FC Wilmersdorf, wurde von Bernd beim Saufen in László Gergelys Kneipe abgeworben, und
Robert Sch., Lebensgefährte von Freundin aus der Rommeérunde von Bernds Lebensabschnittspartnerin, war mal Rollkunstlaufjugendmeister in Schwoitsch-Katzelsdorf, hat ein Sky-Abo.
Lieber Frank,
ein Kaffee am Morgen und dazu eine Glosse von dir,
schöner kann der Tag (fast) nicht beginnen.
Aber auch der Kommentar von Axel zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht, das wegen der mentalen Vorbereitung auf das schwere Großfeldspiel gegen Polar Pinguins zuvor sehr angespannt war.
Hallo Frank,Du solltest Deine Kommentierungen in Buchform herausgeben. Einfach Klasse. Ich hoffe Deine Verletzung vom Pokalspiel ist nicht so dramatisch.
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