16. September 2008

Der Sieger

Die 7er hat am Montagabend 2:0 (1:0) gegen den FC Karlshorst gewonnen. Ist ja ganz nett. Aber richtig aufregend ist das nun auch wieder nicht. Die Siebener gewinnt öfter. Das rechtfertigt keinen ungewöhnlichen Spielbericht. Aber bei diesem Spiel hat einer mitgewirkt der Siege nur kennt, wenn er mit seinem dreijährigen Sohn Fußball spielt. Er spielt, das ist unschwer zu erkennen, also vor allem in der Elfer. Dieser Spieler hatte deshalb am Montagabend ein geradezu sinnliches Erlebnis. Und deshalb schreibt er jetzt seine ganz persönliche Geschichte dieses Erfolgs. Er nennt sich im folgenden seiner neuer Rolle entsprechend: der Sieger.


ZZ Top dröhnte durchs ganze Auto. ZZ Top war genau die richtige Musik. Hart, rau, antreibend, aufputschend. Siegermusik. Der Sieger war zu seinem Auto marschiert, mit festen Schritten, mit selbstbewusstem Blick, angriffslustig, Herausforderungen suchend. Wäre ihm jetzt Graciano Rocchigiani komisch gekommen, er hätte ihn weggeputzt. Es war knapp drei Stunden nach dem Triumph. 23 Uhr,. Montagabend. Wohlige Wärme hatte den Körper des Siegers durchflutet, die Welt sah auf einmal ganz anders aus. Er fuhr nur einen Skoda Fabia, einen Kombi zwar, aber halt doch einen Fabia, aber als er dann Gas gab, als ZZ Top aus den Boxen dröhnte und leise die Scheiben vibrierten, saß er da nicht in Wirklichkeit in einem Porsche, in einem Geschoss mit 300 PS, hörte er da nicht das Grollen und Fauchen des Motors, diese ungezügelte Kraft, die auch ihn durchdrang?
War nicht alles sowieso eine Frage der Phantasie und der Vorstellungskraft? Er selber war ja vor dem Spiel noch als Mann eingestiegen, dem die Niederlage zur zweiten Natur geworden war, der gelernt hatte, der Umwelt die Pleiten als Akt heroischer Widerstandskraft zu verkaufen. Und jetzt saß er am Steuer als ein Siegertyp, der bereit war, alle Schranken zu durchbrechen, der erkannte, dass für ihn erst in den schwarzen Tiefen des Universums eine Grenze lag. Davor lag nur Kampf, Kraft, Selbstbewusstsein, Heroentum. 2:0, schrie er immer wieder gegen die Musik an, die Zahlen klangen betörend, beglückend wie eine Fuge von Bach.

Der Sieger jagte seinen Porsche fast zwei Stunden lang hupend durch die nächtliche Stadt. Da er keine Fahne dabei hatte, die er hissen konnte, hielt er als Ersatz einen blauen Putzlappen, der er im Handschuhfach gefunden hatte, aus dem Fenster, bis die Kälte in die Kabine kroch. Mitternacht war längst vorüber, als er in seine Wohnungstür aufschloss. Er musste jetzt seinen Triumph teilen,. seine Umwelt hatte ein Recht darauf, an seinem Erfolg teilzuhaben. Deshalb marschierte er zügig zu seiner Stereoanlage, fischte eine CD von Queen heraus, programmierte ein Lied, drückte die Wiederholungstaste und drehte den Lautstärkeregler auf sechs. Betörend wie nie sang Freddie Mercury „We are the champions“. Dann stob der Sieger zielstrebig zum Kinderzimmer, riss die Tür auf, schaltete das Deckenlicht an und begann seinen Sohn wachzurütteln. Leider konnte in diesem Moment seine Frau nicht mitfeiern, weil sie außerhalb von Berlin bei einer Fortbildung war. Unglaublich, hier wurde Geschichte geschrieben, und sie war nicht da. Der Sohn allerdings hatte die Angewohnheit, tief und fest zu schlafen, egal wie sehr man ihn rüttelte. „Weiß der Teufel, von wem er das hat“, brummte der Sieger. Egal, dann würde er ihm eben am Kinderbett die Chronologie dieses Sieges erzählen. Irgendwann würde der Kleine schon aufwachen, Freddie sang ja laut genug. „Also, Peer, weißt du“, begann der Sieger, „ wir wussten ja eigentlich gar nicht, wie stark der FC Karlshorst ist. Deshalb haben wir mit drei Abwehrspielern begonnen, Hartmut war Libero, Schwaben-Klaus ‑ der Rentner, erinnerst du dich? ‑, war Verteidiger, Dicki auch. Davor waren dann John, genannt: die Feder, Hans Schirrmeister und Amer. Ach, vielleicht war der Sturm am Anfang auch anders besetzt, ist ja jetzt auch egal. Also, wir haben vorsichtig begonnen, aber doch zielstrebig. Wussten ja nicht, wie stark die sind. Habe ich das schon gesagt? Ah ja. Ok, also, die kamen auch eher verhalten, die hatten ihren besten Stürmer nicht dabei, das haben wir aber erst später erfahren. Wirklich gefährlich waren die aber nicht. Oft haben sie nur den Ball nach vorne geschlagen, aber das war nicht so schlimm. Wir hatten ja auch den Karsten im Tor, der war gut.“

Der Sieger hätte bei Freddies Gesang fast die Schläge überhört, die gegen die Wohnungstür hämmerten. Die Sieger ging zur Tür, riss sie auf und ließ die beiden Polizisten in die Wohnung. Der Sieger freute sich über den unerwarteten Besuch. Endlich nicht-schlafende Menschen, mit denen er seine Freude teilen konnte. „Gut dass sie kommen“, sagte der Sieger und ging zum Kühlschrank, um den Polizisten zwei Bier herauszuholen. Er reichte den Beiden die Flaschen und sagte dabei: „Wir haben dann selber ein Angriffe gestartet ,aber sie waren noch nicht so richtig erfolgreich. Wir sind ein paar mal über die Außenpositionen gekommen, aber die Bälle kamen nicht so richtig gefährlich vors Tor. Aber es war immerhin ein guter Ansatz, und wir wurden nach vorne auch sicherer.“ Einer der Polizisten drängte zur Stereoanlage, Freddies Gesang brach unvermittelt ab, und dann sagte der grüngewandte Eindringling: „Noch einmal so eine Ruhestörung, dann nehmen wir die Anlage mit, und Sie erhalten eine Anzeige. Ihre Nachbarn warten schon drauf.“ Der Sieger blieb ruhig. Die Jungs machten nur ihren Job. Sie waren kleine, pflichtbewusste Beamte, die in ihrem grauen Alltag wenig Erfolgserlebnisse hatten. Wie sollten sie seine Freude, seine Gedanken wirklich teilen? Es lohnte sich nicht. Also setzte er sich wieder neben seinen Sohn, der unverändert friedlich und tief schlief. „Weißt Du, Peer, dann haben wir die anderen zu ein paar Aktionen eingeladen, weil wir beim Spielaufbau nicht konzentriert genug waren. Wir haben dem Torhüter keine Anspielstation gegeben, so dass der Ball lange frei war und uns die Gegner unter Druck setzen konnten. Außerdem kamen ein paar der Pässe auf die Außenpositionen nicht an. Entweder weil der Mitspieler zu langsam war oder der Ball zu schnell.“ An diesem Punkt sah der Sieger ein, dass er hier seine Kraft vergeudetet. Der Kleine würde nicht zuhören. Also müsste er Alternativen suchen.

Am nächsten Tag schlenderte er zum Bäcker, reihte sich in die Schlange ein und raunte der Hausfrau vor ihm ins Ohr: „Dann aber hatten wir einen wirklich guten Angriff. Der Ball prallte vom Gegner ab, er rollte zu Stefan, und der strebte schnell aufs gegnerische Tor zu.“ Die Hausfrau drehte sich um, starrte den Sieger fassungslos an und flüchtete dann kopfschüttelnd. Der Bäcker kannte den Sieger, er konnte nicht einfach flüchten, aber auch er starrte den Sieger nun doch etwas verständnislos an. Aber der Sieger wusste, dass er als Kunde Rechte hatte. Er hatte das Recht, dass man ihm zuhört. Außerdem kam ja jetzt ein ganz spannender Teil. „Auf der rechten Seite war Stefan nicht zu stoppen, und dann zog er ab und schoss der Ball über den Torwart weg ins Netz. Das 1:0.“ Der Sieger kramte aus einem Papierkorb eine zusammengedrückte Coladose und legte sie auf den Boden. Mit einem gewaltigen Schuss über die Theke demonstrierte er, wie gut Stefan geschossen hatte. Die Dose landete beim Mischbrot. Die meisten Kunden verließen fluchtartig den Laden, der Bäcker hatte hinter der Theke volle Deckung genommen. Nur ein 15-jähriger Schüler mit Baseball-Kappe beobachtete den Sieger bewundernd, pfiff durch die Zähne und sagte: „Ey, geile Nummer, Alter. Und wie ging’s dann weiter?“ Endlich einer, mit dem er seine Freude teilen konnte, dachte der Sieger. „Nun ja“, erzählte er, „wir hatten auch ein paar Schüsse aus der zweiten Reihe. Stefan hat einmal abgezogen, wenn ich es noch recht weiß. Und John auch.“ Eine Hand tauchte hinter der Theke auf. Der Rest des Körpers blieb verschwunden. Die Hand hielt eine braune Papiertüte. „Hier sind ihre Brötchen“, verkündete eine Stimme. „Wenn Sie dann bitte gehen würden.“

Der Sieger ging. Er erzählte eine zufällig vorbeikommenden älteren Dame noch eine weitere Chance des BSC in der ersten Halbzeit, als Stefan einen Kopfball nicht richtig verwerten konnte und dass John einen seiner Gegner entweder halb bewusstlos schlug oder der Gegner einfach nur dumm in seine Faust gelaufen war – die Beschreibungen der Beteiligten variierten in diesem Punkt ‑, aber die Frau nestelte bloß an ihrem Hörgerat am linken Ohr und sagte dann laut: „Hä? Ich kann Sie so schlecht verstehen.“

Der Sieger schlenderte weiter. Am U-Bahnhof Alt-Tempelhof traf er auf einen Bettler, der seit geschätzt 40 Jahren dort mit seinem Hut hockte. Der Sieger zog zwei Euro aus seiner Tasche und legte sie in den speckigen Hut. „In der zweiten Halbzeit dann“, begann er, aber da unterbrach ihn der Alte. „Aha, ein Erzähler. Die kenn’ ich. Wie lange soll’s denn dauern?“ Der Sieger legte nachdenklich seine Stirn in Falten. Gar nicht so einfach, die Frage. „Hm“ sagte er nach einigem Nachdenken, „zehn Minuten schon.“ „Paletti“, erwiderte der Bettler, „aber da ist der Tarif anders. Fünf Euro, sonst zieh’ ich weiter.“ Der Sieger warf drei weitere Euro in den Hut. „Ok, zweite Halbzeit. Also, die Karlshorster waren da schon ziemlich platt. Die hatten nicht mehr viel zuzulegen. Ihre Nummer zehn, einer der technisch Besseren, kam schon kaum mehr in den Angriff. Und wir hatten sie jetzt in der Abwehr ziemlich gut im Griff. Aber das lag auch daran, dass immer drei Mann hinten blieben und vorne drei Mann angriffen.

Das war aber oft zu wenig, weil die anderen mit sechs Mann hinten standen. Aber einmal, da hatten die anderen bei einer ihrer wenigen Chancen einen Pfostenschuss, da hatten wir Glück. Andererseits: John hatte auch seinen Auftritt. Whow, Mann, ich sag Dir, und was für einen. Da versuchte er einen Fugkopfball. Also, John und Flugkopfball. Der Typ ist ja bei uns irgendwie auch für die Ästhetik zuständig. Also für die guten Aktionen, die körperbetonten Geschichten. Ist zwar ein bisschen dick, der Gute, aber wenn er fliegt, dann fliegt er. Also, John hebt ab wie ein überladener Jumbo, verpasst den Ball und landet. Da hättste meinen können, ein Wal sei vom Himmel gefallen. Andi Hä. hat noch ziemlich dreckig gelacht. War aber irgendwie auch beeindruckend. Also, auf jeden Fall kein Tor. Auf der Gegenseite hatten die Karlshorster bei einer Flanke ne Riesenchance. In der Mitte war einer frei, aber er verpasste den Ball. Kurz darauf dann das 2:0. Schwaben-Klaus hatte auf der linken Seite einen Heber nach vorne gebracht zu Andi Hä., der hatte John und zwei Karlshorster gegen sich, umkurvte John und die Gegner und schoss dann ein. Dann...“ Aber da unterbrach ihn der Alte. „He, Junge, die Zeit ist vorbei. Entweder nen Nachschlag oder Du verziehst Dich.“ Der Sieger hatte aber kein Geld mehr, also stieg er kurz darauf in die U-Bahn und erzählte den Kontrolleuren den Rest.

„Die Karlshorster waren nun ziemlich platt. Die konnten nicht mehr so richtig. Und wir haben hinten jetzt auch richtig dicht gemacht.“ Einer der Kontrolleure hörte verständnisvoll nickend zu, während der andere leise in sein Handy sprach. „Ja, U 6, brabbelt wirres Zeug. Monatskarte ist in Ordnung, aber kuckt ihn Euch am besten einmal an.“ Der Sieger achtete nicht auf das Gespräch. Er war jetzt bei der Schlussphase. Der Polizisten, die ihn an der nächsten Station sanft zu einem Rettungswagen bugsierten, zeigte er vor dem Treppenaufgang noch kurz, wie er einem Gegner mit einer Sichel den Ball wegschlug, daraufhin wurde der Griff der Polizisten erheblich fester. Der Sieger erhielt eine Spritze, die ihm ein Arzt gab, während er zugleich beruhigend auf ihn einsprach. Leider wurde der Sieger kurz darauf sehr sehr müde, so dass er wegnickte. Wer die spannende Schlussphase deshalb noch im Detail wissen möchte, der muss sich in der Karl-Bonhoeffer-Klinik melden und nach Lionel Messi fragen. Die Jungs wissen dann schon Bescheid.


Frank B. – nach Diktat festgesetzt

6 Kommentare:

Eljay hat gesagt…

Das ist ja wohl die Krönung.
Also Frank, solange auf mich jemand beim BSC hört, garantiere ich dir einen Stammplatz in jeder Mannschaft, wenn du hinterher einen Spielbericht schreibst. Egal wie oft du über den Ball semmelst oder wieviele Handelfmeter du verursachst. Ehrensache.
Ach ja- ich möchte auch wieder in dieser Mannschaft der Sieger spielen...

Pete hat gesagt…

Der Tagesspiegel kann auf seine Mitarbeiter wirklich stolz sein. Grosse Unterhaltung. Ich hoffe Du wirst bis Sonntag wieder entlassen.
Ach ja, herzlichen Glückwunsch Ihr Sieger. Die 11er wird am Sonntag nachziehen.

Dicki hat gesagt…

Eine grandiose Geschichte! Sie toppt wahrscheinlich sogar die bisherige Nr. 1, den Bericht von Hans Sch. von irgendwann, die Geschichten aus der Wuhlheide.

Ein gutes Spiel gegen schwache Karlshorster. Ihnen fehlte der uns bekannte Achter (39 Tore letzte Saison, 42 vorletzte). Trotzdem konnten wir anknüpfen an unseren Spielstil der vorletzten Saison - der auch immer das Risiko in sich birgt, nicht genügend Offensivkraft zu entwickeln.

Nächsten Montag eine Mannschaft des gleichen Kalibers: Eintracht Mahlsdorf. Beide bisherigen Spiele klar verloren, aber im Pokal weiter...
Übrigens: Für Karsten N. das erste ZU NULL nach vier Jahren!!!

Axel hat gesagt…

Lieber Sieger, mit diesem Bericht hast Du Dich qualifiziert, auch über das Großfeldspiel am Sonnabend, 20. September 2008, 14:00 h, Stadion Hubi, BSC Ü 50 gegen die Berliner Stadtauswahl zu berichten. Hier sollte endlich auch mal der Tagesspiegel eine Reportage bringen, wichtiger als Germania Forchheim ist das alle Male! Natürlich könnte Dein Bericht zusätzlich in der BSC-Vereinszeitung erscheinen.
Überhaupt sind alle eingeladen, das Spiel am Sonnabend zu besuchen und das "Flagschiff" der BSC-Fußball-Abteilung, die Very-Old-Boys, anzufeuern.
Hintergrund: Die Stadtelf hat demnächst das jährliche Bundesländer-Turnier und zur Vorbereitung machen sie traditionell ein Testspiel, auch in diesem Jahr gegen uns. Wir wurden im letzten Jahr sehr gelobt, weil wir nicht wie andere Testmannschaften reichlich Altligaspieler (unter 50) einsetzten und auf dem Hubi alles sehr fair und nett ablief
(Spielbericht vom letzten Jahr: http://bsc50.blogspot.com/2007/09/spielbericht-zum-spiel-bsc-gegen.html und
http://bsc50.blogspot.com/2008/03/wer-ist-eigentlich.html).
Also, bis Sonnabend auf'm Hubi,
Gruß Axel

Unknown hat gesagt…

Toller Bericht Frank, ich bedanke mich bei der gesamten Manschaft, dass ich einmal zu Null spielen durfte. Tolle Leistung Männer. Euer Keeper

Hans hat gesagt…

Hallo Frank, wir sehen uns dann heute Abend in Haus F im Aufenthaltraum? (Ich wurde nach meinem 24-stündigen Lachanfall ebenfalls eingeliefert)