14. November 2010

Der BFV ermittelt

Ein nüchterner Konferenzraum in der Zentrale des Berliner Fußballverbands. Die Nacht ist gerade angebrochen, um einen lackierten Kieferholztisch sitzen drei Präsidiumsmitglieder des BFV sowie drei weitere Männer. Wegen der Brisanz des Themas werden alle nur mit Decknamen bezeichnet.

Präsidiumsmitglied Rainer Schiller blickt in die Runde, nickt kurz und wendet sich dann zu einem Mann mit kurzgeschnittenen Haaren. „Herr Treutlein, Sie haben um diese außerordentliche Sitzung gebeten. Bitte, berichten Sie.“

Volker Treutlein, Leiter des Referats „Besondere Ereignisse“, räuspert sich, dann verkündet er: „Meine Herrn. Wir haben es möglicherweise in Berlin mit einem Phänomen zu tun.“ Er machte eine Pause, um das nächste Wort wirken zu lassen.

„Voodoo.“

Der Begriff hing wie ein Peitschenknall im Raum.

Voodoo?“, erwidert Schiller überrascht, „so was gibt’s doch bloß in Afrika.“ Die übrigen Anwesenden nicken. Genau, aus Afrika kannten sie solche Geschichten, sie hörten sie ja oft genug im Fernsehen.

Treutlein lehnt sich zurück, dann sagt er: „Tja, das dachte ich auch. Aber seit dem 9:3 des BSC in der 2. Altliga Ü 40 gegen Heiligensee, vor allem aber seit dem überzeugenden 1:1 auswärts gegen den FC Grunewald, bin ich mir da nicht mehr so sicher.“

„Der BSC?“, ruft Schiller alarmiert. „Unsere alten Freunde?“

„Genau die“, erwidert Treutlein. „Die, die uns schon in der vergangenen Saison beschäftigt haben.“

„Oha“, murmelt Schiller und pfeift durch die Zähne. „Aber, ich meine Voodoo, das klingt doch sehr exotisch. Wie kommen Sie denn darauf?“

Treutlein fährt mit den Fingerspitzen an den Kanten der Papiere entlang, die vor ihm liegen. „Meine Herrn“, sagt er dann „Gerüchte, dass der BSC solche Praktiken anwendet, haben wir nach dem Heiligensee-Spiel erhalten. Gewäsch, haben wir ursprünglich gesagt, blühender Unsinn. Aber im Nachhinein ergeben diverse Vorkommnisse ein gewisses Bild. Da wir den BSC seit vergangener Saison sowieso unter erhöhter Beobachtung haben, hat einer unserer Mitarbeiter am vergangenen Freitag auf dem BSC-Sportplatz vorbeigeschaut. Dabei beobachtete er einen dicken Spieler des BSC bei einem ziemlich ungelenken Tanz. Das sah von der Ferne aus wie Pogo. Aber im Lichte neuer Erkenntnisse müssen wir davon ausgehen, dass der Dicke einen Regentanz einstudiert hat. Bezeichnenderweise hat er den Spitznamen: „Die Feder.“

„Und dann?“, fragt Schiller gespannt.

„Dann verstauchte sich der Dicke einen Knöchel oder den Fuß. Auf jeden Fall tanzte er nicht mehr weiter. Ein Problem mit Folgen, aber dazu später.“

„Ja, aber was hat das mit dem Grunewald-Spiel zu tun?“, fragt das Präsidiumsmitglied Erwin Schockstolz.

„Meine Herrn“, sagt Treutlein, „Voodoo funktioniert nach festen Ritualen. Ohne die verliert er seine Zauberkraft. Der Regentanz vor dem Spiel gehört dazu. Aber wie gesagt, das haben wir erst später erfahren. Begonnen haben die seltsamen Vorkommnisse mit einer Beschwerde. Der Spielführer von Grunewald beklagte sich vor dem Spiel beim Hausmeister, dass in der Kabine seiner Mannschaft vier Tüten mit Grillhähnchen unter den Bänken verteilt waren und irrsinnig nach Fett gestunken haben. Außerdem war der halbe Fußboden mit Mehl übersät. Bezeichnenderweise hat der Kapitän von Heiligensee das Gleiche erzählt.“ Er macht eine Pause und beobachtet die Reaktion der Zuhörer. Einige schütteln irritiert den Kopf.

„Und was soll das?“, fragt schließlich Schiller.

„Es gibt Hinweise, dass damit die Kabine verhext werden soll. In Afrika benützt man dazu natürlich abgeschnittene Hühnerköpfe und Zauberpulver, aber köpfen Sie hier mal kurz ein Huhn. Da haben Sie ja sofort den Tierschutz am Hals.“

„Verstehe“, sagt Schiller, „eine mitteleuropäische Alternative also.“

„Genau“, erwidert Treutlein. „Und dann passierten noch weitere seltsame Dinge. Aber die erzählt am besten der Sportkamerad Mager. Der hat das Spiel gepfiffen.“

Ein grauhaariger Mann blickt in die Runde, er wirkt etwas nervös. „Also, ich hatte die Kabine direkt neben der Kabine des BSC. Ich hörte vor dem Spiel auf einmal so ein Stampfen. Da bin ich rüber und habe einen Spieler gesehen, der mitten in der Kabine stand und irgendetwas beschwörend murmelte. Er hatte einen bodenlangen Schafswollmantel an. Mann, habe ich mich erschreckt. Die anderen sind auf Knien im Kreis um ihn herumgesessen. Die haben mich gar nicht bemerkt. Im Kreis hüpfte um den Typen im Mantel ganz seltsam so ein Älterer mit grauem Bart. Bis er irgendwann abbrach und jammerte, er könne nicht mehr. Er habe sich eine Rippenprellung zugezogen.“

„Beim Tanzen?“, fragt Schiller argwöhnisch.

„Na ja, so hat er’s gesagt. Ich bin dann wieder raus und hab’ einfach nur gedacht, die haben ne Meise. Auf Voodoo bin doch erst durch den Herrn Treutlein gekommen.“

„Alles schön und gut“, sagt Schiller etwas gereizt. „Aber was hat das mit dem Spiel zu tun?“

„Naja,“, sagt Mager gedehnt, „das Spiel. Ich habe schon öfter den BSC gepfiffen. Aber jetzt hat die Mannschaft hat so toll gespielt wie ich sie noch nie gesehen habe. Da gab es schöne Kombinationen, überlegte Angriffe, eine gute Abwehr, präzise Flanken. Kurz, die haben gespielt wie aufgeputscht. Normal war das nicht.“

„Geht’s ein bisschen präziser?, unterbricht Schockstolz ungeduldig.

„Natürlich, ich bitte um Entschuldigung“, erwidert Mager hastig. „Also, die erste Halbzeit. Da hatte der BSC mehrere gute Torchancen. Der Dirk Stettner zum Beispiel, ich habe mir die Namen später auf der Liste noch mal angeschaut, also der Stettner schoss zweimal volley, jedes Mal klärte der Torhüter noch knapp. Einmal war ein BSC-Spieler durch und schoss. Aber der Keeper klärte. Auch dieser Ältere, Ebi haben sie den genannt, hat in der Abwehr gut gespielt, alle haben enorm gekämpft. Der BSC hat Grunewald relativ häufig früh attackiert und damit Fehler der anderen provoziert.“

„Und die Grunewalder, hatten die denn keine Chancen?“, fragt Schiller misstrauisch.

„Na klar, aber der BSC hatte einen ausgezeichneten Torhüter. Der Richter, Vornamen weiß ich jetzt nicht mehr, der hat einige Paraden gezeigt. Der hat sehr gut gespielt. Der ist mehrfach weit aus seinem Tor gekommen. So viel ist der zuletzt gelaufen, als es irgendwo Freibier gab. Wirklich stark.“

Die Runde starrt Mager an. Irgendetwas, das dämmert ihnen jetzt, war faul bei diesem Spiel.

„Zweite Halbzeit“, fährt Mager fort. „der BSC ist noch druckvoller, noch kombinationsstärker, noch besser bei den Angriffen.“

„Nana,“ unterbricht Schockstolz, „übertreiben Sie mal nicht.“

„Nein“, sagt Mager, „das war schon so. Da kam ein Neuer, Manni hieß der, der hatte den Druck nach vorne verstärkt. Der wirbelte und erkämpfte sich immer wieder Bälle. Der arbeitete auch gute Chancen heraus. Nach einer Flanke haben eigentlich alle schon gejubelt, aber ein Mensch namens Stefan köpfte dann noch knapp neben das Tor.“

„Aber“, sagt Schiller zweifelnd, „das Spiel endete 1:1, nicht 8:0 für den BSC. Was lief denn dann noch schief?“

„Da kommen wir zu einem wichtigen Punkt“, schaltet sich Treutlein ein. „Wir vermuten, dass das Ritual gestört wurde und der BSC zwar sehr gut gespielt hat, aber diese Torflut, die er noch gegen Heiligensee hatte, diesmal nicht zustande brachte. Eigentlich hätte der Dicke in der Kabine tanzen müssen, so war das mal geplant. Dann hätte die Zauberkraft voll gewirkt. Aber dann musste der Bärtige einspringen, und damit war einiges von der Voodoo-Wirkung genommen.“

„Aber nur einiges“, sagt Mager. „Der Torwart des BSC hielt auch in der zweiten Halbzeit glänzend. Beim 1:0 von Grunewald konnte er aber nichts machen. Der Ball ging bei einem Distanzschuss direkt ins Eck. Aber Sie hätten mal sehen sollen, was dann los war. Der BSC gab sich nicht auf, er kämpfte weiter, und zehn Minuten vor Schluss traf der Stefan mit einem herrlichen Schuss aus 20 Metern ins Eck. Der Pass dazu kam von Volkmar. Ich wiederhole: Volkmar. Schreibt sich V-O-L-K-M-A-R.“

„Ist ja gut, Volkmar, das haben wir schon begriffen“, sagt Schiller ungeduldig, „weshalb betonen Sie das so?“

„Weil der das selber so betont hat. Legte größten Wert darauf, dass es jeder beim BSC mitbekam. Muss wohl etwas ganz Besonderes sein, dass der mal einen solchen Pass spielt.

Schiller starrt zu Treutlein. „Gibt es diesbezüglich Erkenntnisse?“

„Hm“, erwidert Treutlein nachdenklich. „Wir vermuten, dass es mit dem Voodoo zu tun hat. Offenbar war der Pass der Beweis, dass der Zauber doch wirkt.“

„Gut, weiter“, sagt Schockstolz.

„Nichts weiter. Kurz darauf war das Spiel zu Ende.“

Treutlein schaltet sich wieder ein. „Doch, das gibt es schon noch einiges. Wie gesagt, wir haben den BSC unter Beobachtung, und nach diesem Ergebnis haben wir uns intensiv mit den Voodoo-Gerüchten befasst. Es gibt ein Buch „Voodoo im Strafraum – Fußball und Magie in Afrika“ von Oliver G- Becker. Es gibt verblüffende Parallelen zu den Dingen beim BSC. Vor dem Hintergrund der Riten, die dort beschrieben sind, haben wir eingehend Herrn Mager befragt. Und“, sagt er und macht eine Kunstpause, „wir sind fündig geworden. Denn zu einem der Rituale gehört, dass man einen Teil seiner Ausrüstung vor einem Tor vergräbt. Und, Herr Mager, was haben Sie festgestellt?“ Er blickte triumphierend zu dem Schiedsrichter

„Ja“, antwortet Mager, „also einer der Spieler hatte keine Schienbeinschützer an. Angeblich vergessen. Ich habe ihn vom Feld geschickt, damit er sich welche besorgt.“

„Und sie vermuten jetzt...“, sagt Schiller und lässt den Satz offen.

„Genau“, sagt Treutlein zufrieden, „wir vermuten, dass der Spieler die Schienbeinschützer neben dem Platz vergraben hat. Der hat noch nie seine Schienbeinschützer vergessen. Grunewald hat Kunstrasen, da kann man schlecht etwas vergraben.“

„Hat man ihn denn graben sehen?“, fragt Schiller.

„Nee, nicht direkt“, erwidert Treutlein. „Aber der Spieler war mal vor dem Spiel im Gebüsch verschwunden. Das hat man gesehen. Da dachte natürlich jeder, der müsse nur mal pinkeln. Aber vielleicht hat er ja etwas ganz anderes getan“, sagt er und blickt vielsagend.

„Meine Herrn“, sagt Schiller, richtet sich auf und blickt in die Runde. „Ich für meine Person bin überzeugt, dass da etwas oberfaul ist. Sollte da Voodoo im Spiel sein, müssen wir das verhindern. Aus prinzipiellen Gründen schon. Wir sind hier nicht in Afrika.“ Er drückte seine Ellenborgen auf den Tisch und musterte die Anwesenden. „Was machen wir jetzt?“

Ein drahtiger Mann mit scharfgeschnitten Gesichtszügen meldet sich zu Wort. Frieder Alberich ist Leiter der neu aufgestellten Under-Cover-Truppe des BFV. Sein erster Einsatz war die verdeckte Überwachung von Wettquoten im Cafe King. Er hatte sich Papst verkleidet. Eine perfekte Rolle, die erst aufflog, als er im Koran blätterte. „Wir schleusen uns in den BSC, in die Altliga-Mannschaft, ein“, sagt er bestimmt. „Die Jungs suchen immer neue Spieler. Am besten übernehmen wir irgendwann die Rolle des Regentänzers. Da müssen wir dem Dicken halt noch eine gegens Schienbein geben.“

„Gute Idee“, sagt Schiller nach kurzem Nachdenken. „Ich habe einen missratenen Neffen, der in eine schräge Szene abgetaucht ist.“ Er kritzelt ein paar Zahlen auf einen Zettel. „Hier ist seine Handynummer, Alberich. Rufen Sie ihn an. Der kann Ihnen prima zeigen, wie man Pogo tanzt.“

Frank B.

2 Kommentare:

Pete hat gesagt…

Klasse Frank. Gegen Rotation Prenzlberg müssen wir wohl zu härteren Mitteln greifen.

Eljay hat gesagt…

Mann, wenn du eine Tagesspiegel-Kolumne hättest würde ich den abonnieren. Aber ich habe ja gehört, es gäbe Angebote von der BSC-Webseite...