Die 2. Ü 40 hat am Samstag 0:10 (0:5) gegen Rotation Prenzlauer Berg verloren. Sicher, zwei, drei Tore wären vermeidbar gewesen, nicht vermeidbar war allerdings die Niederlage. Rotation war in allen Punkten deutlich besser, technisch, taktisch, läuferisch, konditionell. Rotation ist souveräner Tabellenführer, dieses Spiel ist kein Maßstab. Pete hat ein paar Paraden gezeigt, Manni hat dankenswerterweise wieder gespielt, Schimmi hat sein Comeback gegeben, Frank Möller hat durchgehalten, obwohl er am Tag vorher noch Fieber hatte. Danke an alle Mitwirkenden.
Die wahren Heldentaten passierten diesmal am Rande des Spielfels, vor dem Anpfiff. Denn durch eine eklatante Verletztenliste standen Pete und Boris bis Freitag mit sechs Spielern da. In einem wahren Kraftakt wurden neue Spieler rekrutiert, ein Heldenepos, das besonders gewürdigt werden muss. Zum schwierigsten Fall, wie nicht anders zu erwarten, entwickelte sich Hans Rottkowsky.
Eine Heldengeschichte der besonderen Art.
Hans hatte sich rar gemacht, seit er zum Sonderbotschafter der Türkei für Reinickendorf-Süd ernannt worden war. Danach verstärkte er seine Auswanderungspläne an den Bosporus. Zudem hatte er bei einem etwas anspruchsvolleren Kreuzworträtsel-Wettbewerb der „Hürriyet“ einen vergoldeten Halbmond gewonnen. Seither hielt er sich für einen Intellektuellen.
Boris rief ihn aus dem Auto an, Hans absolvierte gerade eine Yogaübung. „Ey, Hans, pass mal auf. Riesenstress bei uns, absolute Personalnot. Kannst Du Samstag spielen?“ Sekundenlang herrschte Stille im Hörer. Fußball war für Hans zu etwas Geistlos-Profanem herabgesunken. „Hm“, erwiderte er, „ich wollte eigentlich am Samstag zu einem Vortrag: „Atatürk, der wahre Erfinder der Viererkette“. – „Scheiß drauf. Komm zu uns. Wir brauchen jeden Mann.“
In der Leitung herrschte Stille. Aber es war erkennbar, dass Hans mit sich kämpfte. „Komm schon, Du bekommst auch ein Bier im Casino“, legte Boris nach. Nach einigem Überlegen sagte Hans: „Nee, pass auf, wir machen es anders. Ich stelle Dir zehn Fragen aus allen möglichen Wissensgebieten. Wenn du sieben richtige Antworten hast, spiele ich 90 Minuten. Bei fünf eine Halbzeit, bei vier 40 Minuten, bei drei 30 Minuten, bei zwei 20 Minuten, bei einer richtigen Antwort zehn Minuten. Wenn Du gar nichts richtig hast, gehe ich zum Vortrag. Okay?“ Boris willigte sofort ein.
„Gut, erste Frage: Wie heißt der Generalstabschef der türkischen Armee?“
Boris überlegte. „Mesut Özil“, sagte er dann. Es war der einzige türkische Name, der ihm auf die Schnelle einfiel.
„Falsch“, antwortete Hans kühl. „Nächste Frage: „Wie viele Liegeplätze hat der Hafen von Marmaris?“
Boris wusste nicht einmal, dass Marmaris am Meer liegt. Woher, zum Teufel, sollte er dann wissen, wie viele Boote in diesen verdammten Hafen passen? „500“, rief er aufs Gratewohl.
„Falsch“, lautete die unverändert kühle Antwort.
Boris begann zu schwitzen.
„Nächste Frage: Wie hieß der erste Mongole auf dem Mount Everest?“
„Dschingis Kahn“, platzte Boris etwas voreilig heraus. Es war falsch, das wusste er schon, bevor er im Hörer ein emotionsloses „unkorrekt“ hörte. Er musste jetzt so schnell wie möglich an einen Computer, um googeln zu können, das hatte er inzwischen erkannt. Sonst würde er hier untergehen. Er drückte aufs Gaspedal.
Im Hörer erklang Hans’ Stimme: „Streng’ Dich an, mein Lieber. Nächste Frage: In welchem Ort wurde die letzte deutsche Hexe verbrannt?“
„In Berlin“, hätte Boris am liebsten gebrüllt. „Vor vier Wochen. Ich kenne sogar ihren Namen“. Den Scheiterhaufen hatte er vor kurzem als angemessene Strafe für seine nervendsten Mandantin betrachtet. Aber er riss sich zusammen. Irgendein obskurer Ort musste das gewesen sein. Hexen wurden doch immer an seltsamen Orten verbrannt. „Ampfelbronn in Oberschwaben“, sagte er. Er war mal als Jugendlicher durch das Nest gefahren. Neben ihm quietschten Reifen, als er eine rote Ampel überfuhr.
„Falsch“, tönte es an seinem rechten Ohr. „Memmingen.“ Boris hielt starr das Lenkrad umkrampft.
„Nächste Frage: Welcher SPD-Abgeordnete hielt im Reichstag die flammende Rede gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz?“
Boris atmete erleichtert auf. Irgendetwas mit Fisch, das wusste er. Ein Fußgänger mit Hut tippelte hastig zur Seite, als Boris über den Gehweg fuhr. „Fritz Thunfisch“, brüllte Boris. Ein Glücksgefühl übermannte ihn, alles wird doch noch gut.
Hans Stimme klang kalt wie Metall. „Falsch. Otto Wels.“
Boris erbleichte. Zuckungen erfassten seine Hände. Fast hätte er den Fahrradfahrer umgestoßen, der gemächlich vor ihm rollte. „Scheiße Mann“, brüllte Boris aus dem Fenster, „was machst du hier? Das ist eine Fußgängerzone.“
„Ist alles okay?“, fragte Hans ohne großes Mitgefühl. „Ja? Gut. Dann nächste Frage. Es wird langsam eng, mein Lieber. Wie lautet der große Mafia-Roman von Mario Puzo?“
„Der Paternoster“, schrie Boris. Diesmal war er sich ganz sicher.
Aber Hans erwiderte: „Fast: Der Pate. Trotzdem ungültig.“ Boris hätte Hans am liebsten so erwürgt wie den Skater, der ihm sein Brett hinterher warf.
„Tja, Boris, es wird allmählich eng. Nächste Frage: In welcher verbrecherischen Organisation war der berüchtigte Werner Best?“
„Im BSC-Präsidium.“
„Boris, Boris“, sagte Hans seufzend, „wieder falsch. Es war die SS.“
Boris war nur noch ein paar Meter von seiner Wohnung entfernt. Mit quietschenden Reifen stoppte er an der Haustür und sprang aus dem Wagen.
Währenddessen formulierte Hans seine nächste Frage: „Wie starb Mozart?“
Boris überlegte fieberhaft. Mozart, was wusste er von Mozart? Es gibt Mozartkugeln, das wusste er. Aber sonst? Obwohl: Mozartkugeln! Das Wort musste sich ja von irgendetwas ableiten. Es musste ja einen Hintergrund haben. Genau, hier lag die Lösung. „Er wurde erschossen“, verkündete Boris triumphierend.
Ein tiefer Seufzer drang in sein Ohr. „Ach, Boris“, antwortete Hans. „Er starb an einer Krankheit.“
Während Boris hektisch seine Wohnung aufschloss, hatte er das Gefühl, dass seine Beine wegsackten. Noch bevor er seinen Computer einschalten konnte, hatte Hans bereits die neunte Frage gestellt: „An welches Land übermittelte die Spionage-Organisation „Die Rote Kapelle“ ihre Erkenntnisse?“
Kapelle, Kapelle? „Den Vatikan“, tönte Boris, während sein Computer hochfuhr. Hans klang geradezu geschäftsmäßig, als er sagte: „Nee, Russland.“
Doch Boris war jetzt einsatzbereit. Mit entschlossenem Blick erwartete er die nächste Frage, die Finger hatte er bereits an der Tastatur.
„Letzte Chance“, sagte Hans. „Welcher sudanesische Funktionär wurde im März 1999 wegen Korruption aus dem Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees ausgeschlossen?“
Boris tippte in rasender Eile auf die Tasten. „Zein El Abdin Mohammed Ahmed Abdel Gadir“, brüllte er ins Telefon. Er musste sich zurückhalten, damit er nicht in wildes Triumphgeheul ausbrach.
„Richtig“, sagte Hans anerkennend. „War nicht einfach, die Frage“
Und so kam es, dass Hans Rottkowsky gegen Rotation zehn Minuten auf dem Platz stand. In dieser Zeit spielte er viermal den Ball, rempelte zweimal seinen Gegenspieler zu Boden und beleidigte einmal den Schiedsrichter.
Nach seinem Erfolg sank Boris erst mal erschöpft auf seinem Sofa zusammen. Irgendwann schleppte er sich wieder zu seinem Computer, checkte seine Mails und erstarrte. John hatte abgesagt, John, der eigentlich auf der Liste stand, konnte nicht spielen. Boris war der Verzweiflung nahe, sollte alles vergeblich gewesen sein? Er hatte nicht mehr die Kraft, einen Ersatzmann zu suchen. „Inschallah“, murmelte er mit matter Stimme, als das Telefon läutete.
Boris hob ab. „Ja?“ Aus dem Hörer kam eine dunkle Stimme: „Hier ist Benny.“ Benny! Sofort schoss Boris eine Flut von Fragen durch den Kopf. Wo hatte der Kerl die ganze Zeit gesteckt? Geht es ihm gut? Steckt er in Problemen? Benötigt er dringend Geld? Und vor allem: Wer, zum Teufel, ist Benny? „Ich habe gehört, ihr sucht noch Spieler. Ich habe früher mal für den BSC gespielt, meinen Pass habe ich noch. Soll ich morgen kommen?“ Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchflutete Boris. Bis vor 20 Sekunden hatte er noch nie von Benny gehört, jetzt tauchte der Fremde strahlend wie ein Erlöser ins Leben des BSC. Boris sank vor Begeisterung auf die Knie. „Benny“, jauchzte er, „darf ich Dich mein Bruder nennen?“
Frank B.
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