21. März 2014

Polizeiabschnitt 241, Uhlandstraße. In einem abgedunkelten Raum saßen Polizeimeister Hans Berger und Polizeiobermeister Norbert Albrecht vor ihren Computern. Sie waren in dieser Schicht zuständig für den Betreuung und Beobachtung von Menschen, die unter besonderem Polizeischutz stehen. Es war Montagabend, 20.30 Uhr. Ein auf- und abschwellender Summton durchdrang den Raum, während gleichzeitig auf Bergers Bildschirm eine Nummer aufflackerte. „Zielperson 365 sendet einen Notruf“, brummte er. „Schau mal nach, wer das ist.“
 Albrecht drückte ein paar Tasten, eine Flut von Informationen leuchtete auf, dann las er vom Bildschirm ab: „Lothar Grünberg, Schiedsrichter, Gefährdungsstufe III. Erhält regelmäßig massive Drohungen. Vor ein paar Jahren in Gefährdungsstufe II hochgerückt, weil er bei einem Spiel des Berliner SC gegen Oberspree von einem Wolfshund attackiert worden war. Ein Zuschauer hatte das Vieh auf ihn gehetzt. Es kam zu einer wilden Rangelei zwischen Grünberg und dem Hund. Grünberg konnte ihn in den rechten Hinterfuß beißen. Der Hund jaulte auf, dann trat ihn Grünberg mit dem Fuß auf die Nase. Danach rannte der Hund jaulend davon. Grünberg erlitt einen Schock. So hat er es jedenfalls damals den Kollegen erzählt, die das Protokoll aufnahmen. Danach keine größeren Vorkommnisse, Grünberg wurde deshalb wieder in die Gefährdungsstufe III zurück genommen.“
Albrecht nickte. Er drückte ein paar Tasten, ein Stadtplan von Berlin erschien, an einer Stelle blinkte ein roter Punkt. „Da ist er. Ich schau mal nach, wo er sich genau aufhält.“ Sekunden später murmelte er: „Hubertusallee, ein Sportplatz, wahrscheinlich pfeift er wieder. Schau mal in seinen Tagesplan.“ Jede gefährdete Person teilte der Polizei täglich ihren geplanten Tagesablauf mit Ort und Anlass mit. Diesen Plan studierte jetzt Berger. „Ja, hier steht’s. Er hat ein Spiel.“ Dann stutzte er. „Ach, Du Scheiße“, entfuhr es ihm. „Weißt Du, wen er gerade pfeift?“ „Nee“, antwortete Albrecht, „wie denn?“
  „Den Berliner SC. Spielt gerade gegen Grün Weiß Neukölln.“
„Heilige Scheiße. Dreh mal die Lautstärke hoch.“
Als gefährdete Person war Lothar Grünberg natürlich verkabelt, er konnte per Knopfdruck ein Mikrofon einschalten, so dass die Polizei mithören konnte, was er und seine Gegner sagten.
„Er hat’s Mikro noch nicht eingeschaltet“, knurrte Berger.
Sekunden später aber ertönte Grünbergs Stimme aus den Boxen der Polizeiwache, allerdings war sie in dem ganzen Lärm nur abgehackt zu verstehen. „….verlassen sofort den Platz hinterm“, schrie Grünberg. „…Linienrichter hat dort nichts zu suchen. ….an der Seite zu stehen.“
 Eine andere Stimme füllte den Raum, drohend, schnappend. „…ist doch Scheiße, …stehe dann in zwei Spielfeldern…, die andere BSC-Mannschaft spielt doch gleich daneben….Arschloch“
„…. Spielführer sofort zu mir.“ Das war wieder Grünberg.“
„…steht da hinten im Tor, kann nicht kommen.“
„….sofort zu mir. ….der Vogel muss hier weg.“
„….wohl ne Macke, Vogel, was soll’n das“
….lasse mich nicht beleidigen. Sie verlassen sofort den Auswechselbereich. Sie sind hier nur Gast.
„….spinnste, ich hab ein Trikot an.“
„….ist eine Beleidigung, lasse mich nicht beleidigen.“
„….wohl einen Vogel.“
„In drei Minuten ist der Mann weg, sonst ist Feierabend.“
„…Knall.“
„…wieder eine Drohung. Ich hole die Polizei.“
Bei diesem Stichwort richteten sich Berger und Albrecht, die dem Dialog zwischen Grünberg und mehreren Unbekannten eher amüsiert gelauscht hatte, wie elektrisiert auf. Jetzt wurde es Ernst.
Berger drückte hastig eine Taste. „Lothar Zentrale an Lothar 27. Schorsch, wo seid ihr gerade?“
„Lothar 27 an Lothar Zentrale. Wir sind in Halensee.“
„Wunderbar. Notfall in der Hubertusallee, Sportplatz Berliner SC. Gefährdete Zielperson ruft um Polizeihilfe. Fahrt sofort hin und sichert die ZP. ZP heißt Lothar Grünberg, ist Fußball-Schiedsrichter und wird massiv bedroht. Gefahr um Leib und Leben.“
„Lothar 27 an Lothar Zentrale. Haben verstanden. Sind in fünf Minuten dort. Bitten aber schon mal um Verstärkung.“
Albrecht drehte sich zu Berger. „Übersteht die Zielperson eine erste Attacke, bis die Kollegen eintreffen?“ Berger studierte Grünbergs Tagesplan. „Er trägt natürlich eine schusssichere Weste und hat versteckt einen Teleskop-Schlagstock dabei. Außerdem hat er Mundgeruch.“
Albrecht blickte verwirrt. „Wie?“
„Na ja, das steht im Polizei-Protokoll von Oberspree.“
„Hm, das müsste fürs Erste reichen.“
Währenddessen dröhnte weiterhin der Schlachtenlärm von der Hubertusallee durch den Raum.
„…zum vierten Mal beleidigt“
….hast uns beleidigt“
„…breche in Kürze ab, gnadenlos“
„…. In Ruhe reden“
…nicht viermal beleidigen. Weg. Sofort weg.“
Fünf Minuten später meldete sich die Besatzung von Lothar 27. „Sind am Einsatzort. Aber man sieht ja gar nix. Die stehen alle da hinten. Das ist ein Getümmel, aber wir können die ZP nicht identifizieren. Ohne Verstärkung können wir nicht vorgehen. Da stehen mindestens 15 Mann.“
„Ok“, sagte Berger. „Achtet auf Eigensicherung. Verstärkung dauert noch, die Kollegen haben einen Großeinsatz in einer Ku’damm-Disco. Nähert euch verdeckt.“
„Zentrale, wir robben gerade über den Rasen. Zum Glück ist hier alles dunkel. Wir beobachten die Szene aus sicherer Entfernung.“
„Gut, seht ihr einen Waffeneinsatz?“
„Bis jetzt nicht, aber das ist auch schwer zu erkennen, die bilden alle ein Rudel. Schon möglich, dass einer ne Waffe hat.“
„Gut, wie seid ihr bewaffnet?“
„Ich habe ne Wasserpistole.“
„Wie bitte?“
„Naja, bei meiner Dienstwaffe ist doch der Verschluss kaputt. Die ist  zur Reparatur in der Waffenkammer. Und die Ersatzpistole habe ich noch nicht abgeholt. Also hab ich die Wasserpistole von meinem Sohn zum Dienst mitgenommen. Die sieht täuschend echt aus. In der Dunkelheit erkennt das doch keiner.“
Berger seufzte. „Und der Kollege?“
„Der hat seine Pistole aus Versehen im Auto liegen lassen. Musste doch alles schnell gehen.“
Albrecht suchte einen wichtigen Punkt an der Zimmerdecke.
„Gut, beschränkt Euch aufs Beobachten. Notfalls müsst ihr die ZP mit bloßen Händen raushauen.“
„Wie sieht die ZP denn überhaupt aus?“
Berger starrte auf Grünbergs Tagesplan.
„Er schreibt, dass er beim Spiel ein gelbes Schiedsrichter-Trikot trägt.“
„Witzbold. Hier sind 10 Mann in gelben Trikots.“
„Hm, dann hat er sich ein anderes Trikot ausgeliehen, damit man ihn unterscheiden kann. Wie sieht denn der Gegner aus?“
„Weiß-schwarze Trikots.“
„Ok, dann hat er ne andere Farbe als gelb und weiß-schwarz.“
„Ah ja, wir sehen ihn. Er hat ein rotes Trikot. Hat sich ins Tor zurückgezogen. Clever gemacht. Er hat den unmittelbaren Gefahrenbereich verlassen.“
„Gut, wie verhält er sich?“
„Eigentlich sehr ruhig. Steht nur da.“
„Hm, vielleicht er besonders abgebrüht.“
„Sieht so aus, als würden die anderen sich jetzt gegenseitig beschimpfen. Irgendeiner mit einer blauen Trainingsjacke und einer Mütze mischt auch ganz schön mit. Ist das vielleicht die ZP?“
Berger studierte Grünbaums Tagesplan.
„Nee“, sagte er dann, „von Trainingsjacke und Mütze steht da nichts. Hätte mich auch gewundert. Ein Schiedsrichter pfeift doch nicht in Trainingsjacke.“
Aus den Boxen drang unverändert wilder Lärm, durchsetzt von Grünbergs kreischender Stimme.
„Sag mal“, sagte Berger, „was ist denn los bei Euch? So wie die ZP brüllt, könnte man meinen, er wird gerade abgestochen.“
„Nee, der Typ ist weiter eher ruhig. Ich glaub‘ auch nicht, dass man den so leicht bedrohen kann. Der ist ziemlich groß und breitschultrig. Wir können hier aber nicht hören, wer was brüllt, dafür sind wir zu weit weg.“
20 Sekunden später funkte Polizeimeister Georg Bohnenkampf, die Wasserpistole im Anschlag auf den Rasen gepresst, an die Zentrale: „Hat ZP den Spitznamen Piet? Irgendjemand hat zu dem Typen im roten Trikot Piet gerufen.“
Berger studierte erneut Grünbergs Daten.
„Nee, nichts vermerkt.“
„Ok, alles klar, wahrscheinlich haben wir uns bloß verhört.“
Aus dem Boxen dröhnte plötzlich Grünberg: „Feierabend, Feierabend, Feierabend.“
Berger beugte sich hastig zum Mikrofon. „Was ist denn los? ZP in unmittelbarer Gefahr?“
„Nee, eher im Gegenteil. Die Menge löst sich gerade auf und verlässt den Platz. ZP geht jetzt vom Tor weg und geht ebenfalls zu den Kabinen.“
„Gut, behaltet ihn im Auge, bis er im geschützten Raum ist.“
Und so verschluckte die Dunkelheit unbeachtet einen großen, breitschultrigen Mann im roten Trikot.
Als er verschwunden war, rappelten sich Bohnenschein und sein Kollege Jürgen Möller langsam hoch und klopften sich das Gras von den Uniformen.
„Einsatz beendet“, brummte Möller.
 Andererseits, wenn wir schon hier sind…“, sagte Bohnenschein schräg in die Luft, während schemenhaft diverse Spieler vorbei glitten. „Man möchte ja doch gerne wissen, wie gut so ein Ding funktioniert.“ Er blickte versonnen auf seine Wasserpistole.
Sekunden später dröhnte zornbebend über den Hubi. „Heeee, welches Arschloch hat mich gerade angepinkelt?“
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Aus dem Polizeibericht vom Dienstag, 18. März 2014:  „Spezialeinsatzkräfte haben am Montag Abend auf einem Sportplatz im Grunewald einen Schiedsrichter befreit, der von einer extrem aggressiven Spielertraube eingekesselt war. Aufgrund der angespannten Lage musste einer der Beamten zur Waffe greifen. Der Schiedsrichter hatte in Angst um Leib und Leben die Polizei zu Hilfe gerufen.“

Aus dem Spielberichtsbogen der Partie Berliner SC II gegen Grün-Weiß Neukölln vom Montag, 17. März 2014, unterzeichnet von Schiedsrichter Lothar Grünberg. „Besondere Vorkommnisse: Da ich ebenso wie die Spieler des Berliner SC ein gelbes Trikot hatte, borgte mir ein Spieler seine blaue Trainingsjacke. Das Spiel wurde beim Stand von 1:0 für den BSC abgebrochen, weil ich mehrfach von Neuköllnern Spielern beleidigt worden war. Zuvor hatte ich sie vergeblich gebeten, den von ihnen gestellten Linienrichter an der Seitenlinie zu postieren. Er stand stattdessen neben dem Tor mit der fadenscheinigen Begründung, dass auf der anderen Seite des Platzes zeitgleich ein anderes Spiel stattfinde und er somit an der Seitenlinie auf zwei Spielhälften stünde. Attacken von einem Wolfshund fanden diesmal nicht statt.“

Frank B. 19/03/2014

Anmerkung der Redaktion: Eventuelle Ähnlichkeiten oder Zufälligkeiten mit dem auf den Berliner Sportplätzen bekannten Plauderer Lothar Grünbaum können keinesfalls ausgeschlossen werden.

1 Kommentar:

Pete hat gesagt…

Hi frank,
toller Beitrag. Sofort an den Verband schicken, dann ersparen wir uns ein Sportgerichtsverhandlung und haben die 3 Punkte.
Pete