Polizeiabschnitt 241, Uhlandstraße. In
einem abgedunkelten Raum saßen Polizeimeister Hans Berger und
Polizeiobermeister Norbert Albrecht vor ihren Computern. Sie waren in
dieser Schicht zuständig für den Betreuung und Beobachtung von
Menschen, die unter besonderem Polizeischutz stehen. Es war
Montagabend, 20.30 Uhr. Ein auf- und abschwellender Summton
durchdrang den Raum, während gleichzeitig auf Bergers Bildschirm
eine Nummer aufflackerte. „Zielperson 365 sendet einen Notruf“,
brummte er. „Schau mal nach, wer das ist.“
Albrecht drückte ein paar
Tasten, eine Flut von Informationen leuchtete auf, dann las er vom
Bildschirm ab: „Lothar Grünberg, Schiedsrichter, Gefährdungsstufe
III. Erhält regelmäßig massive Drohungen. Vor ein paar Jahren in
Gefährdungsstufe II hochgerückt, weil er bei einem Spiel des
Berliner SC gegen Oberspree von einem Wolfshund attackiert worden
war. Ein Zuschauer hatte das Vieh auf ihn gehetzt. Es kam zu einer
wilden Rangelei zwischen Grünberg und dem Hund. Grünberg konnte ihn
in den rechten Hinterfuß beißen. Der Hund jaulte auf, dann trat ihn
Grünberg mit dem Fuß auf die Nase. Danach rannte der Hund jaulend
davon. Grünberg erlitt einen Schock. So hat er es jedenfalls damals
den Kollegen erzählt, die das Protokoll aufnahmen. Danach keine
größeren Vorkommnisse, Grünberg wurde deshalb wieder in die
Gefährdungsstufe III zurück genommen.“
Albrecht nickte. Er drückte ein paar
Tasten, ein Stadtplan von Berlin erschien, an einer Stelle blinkte
ein roter Punkt. „Da ist er. Ich schau mal nach, wo er sich genau
aufhält.“ Sekunden später murmelte er: „Hubertusallee, ein
Sportplatz, wahrscheinlich pfeift er wieder. Schau mal in seinen
Tagesplan.“ Jede gefährdete Person teilte der Polizei täglich
ihren geplanten Tagesablauf mit Ort und Anlass mit. Diesen Plan
studierte jetzt Berger. „Ja, hier steht’s. Er hat ein Spiel.“
Dann stutzte er. „Ach, Du Scheiße“, entfuhr es ihm. „Weißt
Du, wen er gerade pfeift?“ „Nee“, antwortete Albrecht, „wie
denn?“
„Den Berliner SC. Spielt
gerade gegen Grün Weiß Neukölln.“
„Heilige Scheiße. Dreh mal die
Lautstärke hoch.“
Als gefährdete Person war Lothar
Grünberg natürlich verkabelt, er konnte per Knopfdruck ein Mikrofon
einschalten, so dass die Polizei mithören konnte, was er und seine
Gegner sagten.
„Er hat’s Mikro noch nicht
eingeschaltet“, knurrte Berger.
Sekunden später aber ertönte
Grünbergs Stimme aus den Boxen der Polizeiwache, allerdings war sie
in dem ganzen Lärm nur abgehackt zu verstehen. „….verlassen
sofort den Platz hinterm“, schrie Grünberg. „…Linienrichter
hat dort nichts zu suchen. ….an der Seite zu stehen.“
Eine andere Stimme füllte den
Raum, drohend, schnappend. „…ist doch Scheiße, …stehe dann in
zwei Spielfeldern…, die andere BSC-Mannschaft spielt doch gleich
daneben….Arschloch“
„…. Spielführer sofort zu mir.“
Das war wieder Grünberg.“
„…steht da hinten im Tor, kann
nicht kommen.“
„….sofort zu mir. ….der Vogel
muss hier weg.“
„….wohl ne Macke, Vogel, was soll’n
das“
….lasse mich nicht beleidigen. Sie
verlassen sofort den Auswechselbereich. Sie sind hier nur Gast.
„….spinnste, ich hab ein Trikot
an.“
„….ist eine Beleidigung, lasse mich
nicht beleidigen.“
„….wohl einen Vogel.“
„In drei Minuten ist der Mann weg,
sonst ist Feierabend.“
„…Knall.“
„…wieder eine Drohung. Ich hole die
Polizei.“
Bei diesem Stichwort richteten sich
Berger und Albrecht, die dem Dialog zwischen Grünberg und mehreren
Unbekannten eher amüsiert gelauscht hatte, wie elektrisiert auf.
Jetzt wurde es Ernst.
Berger drückte hastig eine Taste.
„Lothar Zentrale an Lothar 27. Schorsch, wo seid ihr gerade?“
„Lothar 27 an Lothar Zentrale. Wir
sind in Halensee.“
„Wunderbar. Notfall in der
Hubertusallee, Sportplatz Berliner SC. Gefährdete Zielperson ruft um
Polizeihilfe. Fahrt sofort hin und sichert die ZP. ZP heißt Lothar
Grünberg, ist Fußball-Schiedsrichter und wird massiv bedroht.
Gefahr um Leib und Leben.“
„Lothar 27 an Lothar Zentrale. Haben
verstanden. Sind in fünf Minuten dort. Bitten aber schon mal um
Verstärkung.“
Albrecht drehte sich zu Berger.
„Übersteht die Zielperson eine erste Attacke, bis die Kollegen
eintreffen?“ Berger studierte Grünbergs Tagesplan. „Er trägt
natürlich eine schusssichere Weste und hat versteckt einen
Teleskop-Schlagstock dabei. Außerdem hat er Mundgeruch.“
Albrecht blickte verwirrt. „Wie?“
„Na ja, das steht im
Polizei-Protokoll von Oberspree.“
„Hm, das müsste fürs Erste
reichen.“
Währenddessen dröhnte weiterhin der
Schlachtenlärm von der Hubertusallee durch den Raum.
„…zum vierten Mal beleidigt“
….hast uns beleidigt“
„…breche in Kürze ab, gnadenlos“
„…. In Ruhe reden“
…nicht viermal beleidigen. Weg.
Sofort weg.“
Fünf Minuten später meldete sich die
Besatzung von Lothar 27. „Sind am Einsatzort. Aber man sieht ja gar
nix. Die stehen alle da hinten. Das ist ein Getümmel, aber wir
können die ZP nicht identifizieren. Ohne Verstärkung können wir
nicht vorgehen. Da stehen mindestens 15 Mann.“
„Ok“, sagte Berger. „Achtet auf
Eigensicherung. Verstärkung dauert noch, die Kollegen haben einen
Großeinsatz in einer Ku’damm-Disco. Nähert euch verdeckt.“
„Zentrale, wir robben gerade über
den Rasen. Zum Glück ist hier alles dunkel. Wir beobachten die Szene
aus sicherer Entfernung.“
„Gut, seht ihr einen Waffeneinsatz?“
„Bis jetzt nicht, aber das ist auch
schwer zu erkennen, die bilden alle ein Rudel. Schon möglich, dass
einer ne Waffe hat.“
„Gut, wie seid ihr bewaffnet?“
„Ich habe ne Wasserpistole.“
„Wie bitte?“
„Naja, bei meiner Dienstwaffe ist
doch der Verschluss kaputt. Die ist zur Reparatur in der
Waffenkammer. Und die Ersatzpistole habe ich noch nicht abgeholt.
Also hab ich die Wasserpistole von meinem Sohn zum Dienst
mitgenommen. Die sieht täuschend echt aus. In der Dunkelheit erkennt
das doch keiner.“
Berger seufzte. „Und der Kollege?“
„Der hat seine Pistole aus Versehen
im Auto liegen lassen. Musste doch alles schnell gehen.“
Albrecht suchte einen wichtigen Punkt
an der Zimmerdecke.
„Gut, beschränkt Euch aufs
Beobachten. Notfalls müsst ihr die ZP mit bloßen Händen
raushauen.“
„Wie sieht die ZP denn überhaupt
aus?“
Berger starrte auf Grünbergs
Tagesplan.
„Er schreibt, dass er beim Spiel ein
gelbes Schiedsrichter-Trikot trägt.“
„Witzbold. Hier sind 10 Mann in
gelben Trikots.“
„Hm, dann hat er sich ein anderes
Trikot ausgeliehen, damit man ihn unterscheiden kann. Wie sieht denn
der Gegner aus?“
„Weiß-schwarze Trikots.“
„Ok, dann hat er ne andere Farbe als
gelb und weiß-schwarz.“
„Ah ja, wir sehen ihn. Er hat ein
rotes Trikot. Hat sich ins Tor zurückgezogen. Clever gemacht. Er hat
den unmittelbaren Gefahrenbereich verlassen.“
„Gut, wie verhält er sich?“
„Eigentlich sehr ruhig. Steht nur
da.“
„Hm, vielleicht er besonders
abgebrüht.“
„Sieht so aus, als würden die
anderen sich jetzt gegenseitig beschimpfen. Irgendeiner mit einer
blauen Trainingsjacke und einer Mütze mischt auch ganz schön mit.
Ist das vielleicht die ZP?“
Berger studierte Grünbaums Tagesplan.
„Nee“, sagte er dann, „von
Trainingsjacke und Mütze steht da nichts. Hätte mich auch
gewundert. Ein Schiedsrichter pfeift doch nicht in Trainingsjacke.“
Aus den Boxen drang unverändert wilder
Lärm, durchsetzt von Grünbergs kreischender Stimme.
„Sag mal“, sagte Berger, „was ist
denn los bei Euch? So wie die ZP brüllt, könnte man meinen, er wird
gerade abgestochen.“
„Nee, der Typ ist weiter eher ruhig.
Ich glaub‘ auch nicht, dass man den so leicht bedrohen kann. Der
ist ziemlich groß und breitschultrig. Wir können hier aber nicht
hören, wer was brüllt, dafür sind wir zu weit weg.“
20 Sekunden später funkte
Polizeimeister Georg Bohnenkampf, die Wasserpistole im Anschlag auf
den Rasen gepresst, an die Zentrale: „Hat ZP den Spitznamen Piet?
Irgendjemand hat zu dem Typen im roten Trikot Piet gerufen.“
Berger studierte erneut Grünbergs
Daten.
„Nee, nichts vermerkt.“
„Ok, alles klar, wahrscheinlich haben
wir uns bloß verhört.“
Aus dem Boxen dröhnte plötzlich
Grünberg: „Feierabend, Feierabend, Feierabend.“
Berger beugte sich hastig zum Mikrofon.
„Was ist denn los? ZP in unmittelbarer Gefahr?“
„Nee, eher im Gegenteil. Die Menge
löst sich gerade auf und verlässt den Platz. ZP geht jetzt vom Tor
weg und geht ebenfalls zu den Kabinen.“
„Gut, behaltet ihn im Auge, bis er im
geschützten Raum ist.“
Und so verschluckte die Dunkelheit
unbeachtet einen großen, breitschultrigen Mann im roten Trikot.
Als er verschwunden war, rappelten sich
Bohnenschein und sein Kollege Jürgen Möller langsam hoch und
klopften sich das Gras von den Uniformen.
„Einsatz beendet“, brummte Möller.
Andererseits, wenn wir schon hier
sind…“, sagte Bohnenschein schräg in die Luft, während
schemenhaft diverse Spieler vorbei glitten. „Man möchte ja doch
gerne wissen, wie gut so ein Ding funktioniert.“ Er blickte
versonnen auf seine Wasserpistole.
Sekunden später dröhnte zornbebend
über den Hubi. „Heeee, welches Arschloch hat mich gerade
angepinkelt?“
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Aus dem Polizeibericht vom Dienstag,
18. März 2014: „Spezialeinsatzkräfte haben am Montag Abend
auf einem Sportplatz im Grunewald einen Schiedsrichter befreit, der
von einer extrem aggressiven Spielertraube eingekesselt war. Aufgrund
der angespannten Lage musste einer der Beamten zur Waffe greifen. Der
Schiedsrichter hatte in Angst um Leib und Leben die Polizei zu Hilfe
gerufen.“
Aus dem Spielberichtsbogen der Partie
Berliner SC II gegen Grün-Weiß Neukölln vom Montag, 17. März
2014, unterzeichnet von Schiedsrichter Lothar Grünberg. „Besondere
Vorkommnisse: Da ich ebenso wie die Spieler des Berliner SC ein
gelbes Trikot hatte, borgte mir ein Spieler seine blaue
Trainingsjacke. Das Spiel wurde beim Stand von 1:0 für den BSC
abgebrochen, weil ich mehrfach von Neuköllnern Spielern beleidigt
worden war. Zuvor hatte ich sie vergeblich gebeten, den von ihnen
gestellten Linienrichter an der Seitenlinie zu postieren. Er stand
stattdessen neben dem Tor mit der fadenscheinigen Begründung, dass
auf der anderen Seite des Platzes zeitgleich ein anderes Spiel
stattfinde und er somit an der Seitenlinie auf zwei Spielhälften
stünde. Attacken von einem Wolfshund fanden diesmal nicht statt.“
Frank B. 19/03/2014
Anmerkung der Redaktion: Eventuelle
Ähnlichkeiten oder Zufälligkeiten mit dem auf den Berliner
Sportplätzen bekannten Plauderer Lothar Grünbaum können
keinesfalls ausgeschlossen werden.
1 Kommentar:
Hi frank,
toller Beitrag. Sofort an den Verband schicken, dann ersparen wir uns ein Sportgerichtsverhandlung und haben die 3 Punkte.
Pete
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